Beurteilung der Reife und Wirksamkeit steuerlicher Anreize für die regionale Entwicklung: Anwendung des Kontrollrahmenwerks für staatliche Maßnahmen und Folgenabschätzungen
Von: Marcos Araújo Mortoni Silva and Rafael Encinas
Hintergrund: geprüfte staatliche Maßnahme
Im Jahr 2022 prüften die Oberste Rechnungskontrollbehörde Brasilien (TCU) und der Generalkontrolleur der Union die Maßnahmen zur regionalen Entwicklung im Automobilbereich (PADR) der brasilianischen Regierung. Diese in den späten 90ern ergriffenen Maßnahmen gewährten Automobilherstellern, die Fabriken in weniger entwickelten Regionen Brasiliens gründeten, Steuergutschriften.
Die PADR kosten jährlich 5 Milliarden Real in Steuerbegünstigungen und kommen derzeit vier Unternehmen, die Fabriken in den Städten Goiana und Belo Jardim im Bundesstaat Pernambuco sowie Anápolis und Catalão im Bundesstaat Goiás haben, zugute.
Zielsetzungen und Prüfungsfragen
Die Prüfung war so strukturiert, dass sie ein umfassendes Urteil über die momentane Situation der PADR in Bezug auf deren Reife als staatliche Maßnahmen und deren Ergebnisse ermöglichte. In Abbildung 1 werden das analytische Rahmenwerk und die Prüfungsfragen, die für die Prüfung erarbeitet wurden, dargelegt.
Abbildung 1 – analytisches Rahmenwerk der PADR-Prüfung
Ergebnisse
Die Prüfung gelangte zu folgenden Erkenntnissen:
- a) Die PADR wurden nicht auf der Grundlage einer vorangegangenen und konsistenten Diagnose eines öffentlichen Problems gestaltet, wodurch es schwierig war, Zielsetzungen festzulegen und Alternativen zu analysieren, um den effizientesten Ansatz für die Bekämpfung der Ursachen eines öffentlichen Problems zu bestimmen. Infolgedessen fehlt den PADR momentan ein logischer Bezugsrahmen und die Darstellung, wie die Ursachen eines öffentlichen Problems zu den geringstmöglichen Kosten in Angriff genommen werden.
- b) Die zentralen Rollen der Steuerung, Kontrolle und Koordinierung der Einführung, Überwachung sowie des Ex-post-Evaluierungsprozesses wurden für diese Maßnahmen weder festgelegt noch durchgeführt, wodurch die PADR in einem passiven Zustand belassen werden, ohne dass die Bundesregierung sich ihrer Ergebnisse bewusst ist. Dieser Zustand verhindert die Rechenschaftspflicht für diese Maßnahmen, da die Exekutive Steuerzahlerinnen und -zahlern weder die Ergebnisse der PADR noch ihre Verantwortung dafür darlegt.
- c) Die für die PADR seit 2010 getätigten Ausgaben in Höhe von 50 Milliarden Real führten zu keinen wesentlichen sozioökonomischen Verbesserungen in den Gebieten, in denen die begünstigten Autofabriken angesiedelt sind. Dies führt zu hohen Kosten pro geschaffenem Arbeitsplatz.
Methode und analytisches Rahmenwerk
Maßnahmenreife
Die Fragen und Verfahren für die Analyse der PADR-Maßnahmenreife basieren auf den methodischen und materiellen Grundlagen des Kontrollrahmenwerks für staatliche Maßnahmen (RCPP) des TCU, das auf den ISSAIs 100, 300, 3000 und 3100 der INTOSAI beruht. Das RCPP stellt ein analytisches Grundprinzip vor, das in Kontrollblöcke gegliedert ist (Abbildung 2), die den Phasen des Politikzyklus entsprechen und eine konzeptuelle Grundlage sowie ein Instrumentarium für die Anleitung der Analysen staatlicher Maßnahmen bieten (Abbildung 3).
Abbildung 2 – analytische Struktur des RCPP und Politikzyklus
Abbildung 3 – RCPP – Instrumentarium für die Analyse staatlicher Maßnahmen
Das RCPP diente bei der Prüfung der PADR als integrierende Referenz für relevante analytische und methodische Perspektiven im Bereich der staatlichen Maßnahmen und erleichterte den Dialog zwischen dem Team sowie den internen Kontrollpersonen und Entscheidungsträgerinnen und -trägern des TCU über die gemeinsame Grundlage. Da Anreize sowie Einschränkungen die Entscheidungen von Akteurinnen und Akteuren beeinflussen, war die Prüfung darüber hinaus innovativ und berücksichtigte auch diesen Kontext bei der Analyse der PADR.
Daher wurden konsolidierte Perspektiven aus der Literatur, zum Beispiel die Neue Politische Ökonomie und die Agent-Theorie, bei der Erarbeitung der Fragen, der Analyse der Antworten und der Begründung für die Beschreibung der Ursachen sowie Auswirkungen der Prüfungserkenntnisse eingenommen. Dieses analytische Rahmenwerk war äußerst nützlich, um die materielle Bedeutung der Rechenschaftspflicht für die Leistungsfähigkeit von Regierungen in Bezug auf staatliche Maßnahmen aufzuzeigen.
Folgenabschätzung
Um die Wirksamkeit der PADR zu beurteilen, wurde die Methode der synthetischen Kontrolle von Abadie und Gardeazabal (2003) verwendet. Laut Abadie (2021, S. 392) wurde diese Methode entwickelt, um die Auswirkungen aggregierter Interventionen – das heißt Interventionen, die auf aggregierter Ebene getätigt werden und eine geringe Anzahl an großen Einheiten (zum Beispiel Städte, Regionen oder Länder) betreffen – auf ein Ergebnis von Interesse abzuschätzen. Laut Athey und Imbens (2017, S. 9) handelt es sich dabei „um die wohl wichtigste Innovation in der Literatur zur Maßnahmenbeurteilung der letzten 15 Jahre.“
Diese Methode kommt vorrangig in vergleichenden Fallstudien zur Anwendung, in denen die Entwicklung der Ergebnisvariable in der Einheit, welche die staatliche Intervention erfährt, mit einer Reihe von Einheiten ohne Intervention, die zu einer synthetischen Einheit zusammengefasst werden und die kontrafaktische Situation zur Einheit mit der Intervention bilden, verglichen wird.
Obwohl die PADR momentan vier Automobilfabriken zugutekommen, war die Folgenabschätzung aufgrund der Datenverfügbarkeit nur für eine im Jahr 2015 eröffnete Fabrik möglich, da die Datenbank der nationalen Indikatoren keinerlei Informationen, die vor die Eröffnung der anderen Fabriken zurückreichen, enthielt.
In Brasilien gehören Gemeinden zwei regionalen Ebenen an (IBGE, 2017): der Nahregion und der Zwischenregion. Nahregionen zeichnen sich aufgrund ihrer Nähe zu urbanen Zentren durch ihre Integration in urbane Netzwerke aus, welche die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigen. Zwischenregionen entsprechen einer Zwischendimension zwischen dem Bundesstaat und der Nahregion, die durch die Einbeziehung von Metropolen, regionalen Hauptstädten oder repräsentativen urbanen Zentren für eine Reihe von Nahregionen abgesteckt werden (IBGE, 2017, S. 20). Für die Folgenabschätzung wurden beide Regionalebenen herangezogen.
Abbildung 4 zeigt die Karte des Bundesstaates Pernambuco mit der Unterteilung in Nah- und Zwischenregionen. Die Nahregion, in der die beurteilte Fabrik angesiedelt ist, ist dunkelgrün schattiert. Sie setzt sich aus elf Gemeinden und einer Bevölkerung von ungefähr 350.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zusammen. Die hellgrün schattierte Region ist die Zwischenregion, welche die Nahregion der Fabrik beinhaltet und aus 72 Gemeinden mit einer Gesamtbevölkerung von 5,7 Millionen Menschen besteht.
Abbildung 4: Karte des Bundesstaates Pernambuco mit der Nah- und Zwischenregion, in der die Fabriken angesiedelt ist
Die Beurteilung anhand des Modells der synthetischen Kontrolle zeigte einen wesentlichen Einfluss auf das BIP pro Kopf, die Gesamtbeschäftigung, die fachlich-wissenschaftliche Beschäftigung und die Gesamtbezüge in der Nahregion, die von den PADR profitierte, jedoch keinen Einfluss auf die Zwischenregion, wie in Abbildung 5 zu sehen ist.
Abbildung 5: Ergebnisse der synthetischen Kontrollanalyse für das BIP pro Kopf, die Gesamtbeschäftigung, Gesamtbezüge und das fachlich-wissenschaftliche Personal
Im Falle der Gesamtbeschäftigung erreichte der Bevölkerungsanteil in der Nahregion, in der die Intervention erfolgte, im Jahr 2019 14,64 %, während er sich in der synthetischen Kontrolle auf 11,4 % belief. Die Differenz in Höhe von 3,24 % entspricht bei der Bevölkerung der Region 11.258 geschaffenen Stellen.
Im Jahr 2019 erhielt die Fabrik 4,6 Milliarden Real (1,1 Milliarden USD) in steuerlichen Anreizen, was 388 Millionen Real (92,4 Millionen USD) pro Monat entspricht und pro durch die Maßnahmen geschaffenem Job Kosten in Höhe von 34.000 Real (8.100 USD) ergibt – hohe Kosten in Anbetracht des nationalen Mindestlohns in Höhe von 998 Real (238 USD) oder der von sonstigen sozialen Programmen, zum Beispiel der Bolsa Família, umverteilten Beträge, die sich im Schnitt auf 186 Real (44 USD) belaufen.
Daten aus nationalen Aufzeichnungen zur Arbeitsplatzschaffung untermauerten die Ergebnisse der Folgenabschätzung. Diese wiesen darauf hin, dass nur wenige Stellen in anderen Wirtschaftssektoren geschaffen wurden und sich Arbeitsplätze auf den Automobilsektor verlagerten. Zudem war aus Angaben über die Produktionsmittelbeschaffung ersichtlich, dass nur 6 % der Zulieferunternehmen in den Zielregionen der Maßnahme ansässig waren. 94 % wurden von Unternehmen aus höher entwickelten Regionen zugekauft.
Die Schlussfolgerungen decken sich mit Studien von multilateralen Organisationen wie der OECD (2015) und der Weltbank (Kronfol & Steenbergen, 2020), die angeben, dass steuerliche Anreize allein nicht in der Lage sind, Investitionen anzuziehen, da andere Faktoren gleichbedeutend oder bedeutender für den Entscheidungsfindungsprozess von privaten Akteurinnen und Akteuren sind.
Anwendbarkeit bei Prüfungen
Die in der Prüfung der PADR angewendete Reifeanalyse kann von Obersten Rechnungskontrollbehörden (ORKB) repliziert werden, gegebenenfalls mit Kontextualisierungen.
Die Anwendbarkeit der Inhalte des RCPP muss von Fall zu Fall geprüft werden, da seine Kriterien weitgehend auf brasilianischen Rechtsrahmen sowie den Kompetenzen und der Rechtsprechung des TCU beruhen. Das analytische Rahmenwerk des RCPP sowie seine Instrumentarien beruhen hingegen auf den Phasen des Politikzyklus und können von ORKB daher vollständig repliziert werden. Sie sind nützlich für die Gestaltung von Prüfungen, die auf eine umfassende Analyse staatlicher Maßnahmen abzielen.
Der Einsatz theoretischer Perspektiven, die sich mit dem Verhalten von Akteurinnen und Akteuren befassen, kann bei der Analyse der Maßnahmenreife ebenfalls repliziert werden. In diesem Fall nicht als normatives Kriterium für die Einhaltung von Vorschriften, sondern als wissenschaftliche Grundlage für die Anleitung der Untersuchungsperspektiven und die Erklärung der Ursachen für bei Prüfungen staatlicher Maßnahmen gewonnene Erkenntnisse.
Die im Rahmen der Prüfung der PADR durchgeführte Folgenabschätzung kann bei Prüfungen staatlicher Maßnahmen in verschiedensten Sektoren angewendet werden. Die Methode der synthetischen Kontrolle ermöglicht die Erstellung von kontrafaktischen Situationen in Fallstudien, damit die Auswirkungen Gesundheits-, Bildungs-, Umwelt- und sonstiger Maßnahmen auf große Aggregate, zum Beispiel Gemeinden, Bundesstaaten oder Länder, beurteilt werden können.