Staatsanwaltschaften im Zuständigkeitsbereich der Obersten Rechnungskontrollbehörden: ihre Rolle und Bedeutung für ordnungsgemäße Gerichtsverfahren: Ein Blick auf die Ergebnisse einer weltweiten Umfrage

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Von: Louis Gautier (französischer Generalstaatsanwalt), Adeline Baldacchino (Mitglied der französischen PPO (Staatsanwältin)), Cristina Machado (brasilianische Generalstaatsanwältin), Rodrigo Medeiros de Lima (Mitglied der brasilianischen PPO (Staatsanwältin))

Das Dokument INTOSAI-P 50 skizziert zwölf Grundsätze für die Rechtsprechungstätigkeiten von Obersten Rechnungskontrollbehörden (ORKB), die mit einem entsprechenden Mandat ausgestattet sind, das es ihnen erlaubt, über die Haftung von Einzelpersonen, die im Falle von Unregelmäßigkeiten oder Misswirtschaft gesetzlich verantwortlich sind, zu entscheiden.

Im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit erfordert die Möglichkeit eines Eingriffs in die Rechtssphäre der Personen, die der Rechtsprechung von ORKB unterliegen, ordnungsgemäße Gerichtsverfahren und andere damit verbundene grundlegende Sicherheiten. Diese sind im internationalen System des Menschenrechtsschutzes und weltweit in den meisten nationalen Verfassungen verankert, wenn auch in leicht unterschiedlicher Form.

Die Bestimmung über ordnungsgemäße Gerichtsverfahren umfasst in ihrem modernen Verständnis das Erfordernis eines wirksamen kontradiktorischen Verfahrens, das umfassende Verteidigungsmöglichkeiten, einschließlich Berufungen, sowie ein unparteiisches und begründetes Urteil innerhalb einer angemessenen Frist ermöglicht. Diese Merkmale bilden eindeutig die Hauptlinie der INTOSAI-P 50 und rechtfertigen weitgehend die Rolle der Staatsanwaltschaft als wesentliche Akteurin für die Ausübung der ORKB-Rechtsprechungsbefugnisse. 

In dem genannten INTOSAI-Dokument wird ein Schwerpunkt auf den Auftrag der Staatsanwaltschaft, „das öffentliche Interesse und die ordnungsgemäße Anwendung des Rechts“ zu verteidigen, gelegt (INTOSAI-P 50, Punkt 2.2.3).

Der Zusammenhang zwischen dem Auftrag der Staatsanwaltschaft und ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren wird durch den institutionellen Rahmen und die Zuständigkeiten vieler Staatsanwaltschaften (im Folgenden vom Englischen „Public Prosecution Office“ mit PPO abgekürzt), die im Zuständigkeitsbereich der ORKB tätig sind, bestätigt. Dies wird durch eine laufende Umfrage unter der Leitung der brasilianischen PPO aufgezeigt – eine neue Initiative zur Stärkung des gemeinsamen Wissens, um professionelle Brücken zu bauen.

Es ist wichtig, klarzustellen, dass die Rolle der Staatsanwaltschaft oder des „Ministère Public“, um den französischen Begriff zu verwenden, in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition in der Regel über die eigentliche Strafverfolgung hinausgeht – anders als es der deutsche Ausdruck vermuten lässt. Sie umfasst eine umfassende Verteidigung des öffentlichen Interesses und, objektiver ausgedrückt, der ordnungsgemäßen Rechtsanwendung. Somit üben die PPOs auch das aus, was in den INTOSAI-P 50 als „Qualitätskontrolle“ (1) bezeichnet wird, oder genauer gesagt: eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle des Verfahrens.

Bevor einige der Ergebnisse der oben erwähnten Umfrage erörtert werden, ist es wichtig, hervorzuheben, dass die Umfrage das Ergebnis jüngster Bemühungen zur Förderung des Dialogs und Austauschs zwischen PPOs ist. Diese Bemühungen begannen im Jahr 2022 anlässlich des XXIV. Internationalen Kongresses der Obersten Rechnungskontrollbehörden (INCOSAI) in Rio de Janeiro.

Trotz der neuartigen und umfassenderen Zusammenarbeit zwischen PPOs auf der ganzen Welt ist die Rolle der Staatsanwaltschaft im Umfeld der ORKB nicht neu, zumindest nicht für jene, die sich am Modell und der Tradition der Rechnungshöfe ausrichten. 

Die Rolle der Staatsanwaltschaft ist seit der Gründung des französischen Rechnungshofs im Jahr 1807 und anderer Rechnungshöfe, wie der brasilianischen ORKB (Tribunal de Contas da União; TCU) im Jahr 1893, präsent.

Auf Anregung und Ermutigung des Gastgebers des XXIV. INCOSAI, TCU-Präsidenten und INTOSAI-Vorsitzenden Bruno Dantas, lud die Leiterin der brasilianischen PPO, Generalstaatsanwältin Cristina Machado, Vertreterinnen und Vertreter aus anderen PPOs zu einem Treffen ein, bei dem Vertreterinnen und Vertreter aus sechs Ländern und aus drei verschiedenen Kontinenten zusammenkamen. 

Die allgemeinen Ziele dieses Treffens waren:

  • Entwicklung eines besseren Verständnisses für diese gleichgestellten Institutionen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede;
  • Steigerung der Sichtbarkeit der Rolle von PPOs im Zuständigkeitsbereich von ORKB;
  • Verbreitung der Bedeutung von PPOs als Garanten für ordnungsgemäße Gerichtsverfahren im Zuständigkeitsbereich der ORKB.

Die wichtigsten Ergebnisse des Treffens waren:

  • Einrichtung eines ständigen Dialogkanals zwischen den PPOs;
  • Entscheidung, eine Umfrage zu den institutionellen Besonderheiten und Aufgaben der einzelnen PPOs durchzuführen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zu ermitteln.

Heute erstreckt sich der Dialog zwischen den PPOs in gewissem Maße auf 14 Länder auf vier Kontinenten. Im Januar 2024 fand ein virtuelles Treffen zwischen Brasilien, Frankreich, Kongo, Italien, Marokko, Panama und Senegal statt. Dies verdeutlicht den Bedarf für eine ständige Plattform für den Dialog über bewährte Verfahren.

Die Umfrage ist noch im Gange, aber wir haben bereits einschlägige Informationen aus den meisten der am Dialog beteiligten Länder erhoben, insbesondere aus Brasilien, dem Kongo, Osttimor, Frankreich, Griechenland, Italien, Niger, Marokko, Panama, Portugal, dem Senegal und der Türkei.

Die Haupterkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die meisten der befragten Behörden sind in die Organisationsstruktur der jeweiligen ORKB eingebettet und haben die notwendige Unabhängigkeit bei der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags gewährleistet.
  • In einigen wenigen Fällen – wie in Portugal und Osttimor – ist die PPO Teil eines umfassenderen Körpers an Staatsanwaltschaften, die in anderen Zuständigkeitsbereichen umfassendere rechtliche Zuschreibungen und Aufgaben innehaben.
  • Bei den meisten der befragten Behörden werden die Generalstaatsanwältinnen und -anwälte von der Leiterin bzw. dem Leiter der Exekutive und nicht von den ORKB ernannt, was in den meisten Fällen die Nichtunterordnung unter die jeweiligen Rechnungshöfe stärkt.
  • Es gibt eine Minimalkonvergenz zwischen den Aufgaben der PPOs, die sowohl die Rolle der Gesetzeshüterin als auch die der Strafverfolgung umfasst (beide sind in mindestens 11 von 12 PPOs vorhanden), und dem damit verbundenen Recht, Berufung gegen die Rechtsprechung der ORKB einzulegen (in mindestens 11 von 12 PPOs der Fall). (2)

Unter der Rolle der Gesetzeshüterin versteht man das Eingreifen der PPO in ORKB-Verfahren, um die Einhaltung der verfahrens- und materiellrechtlichen Vorschriften sicherzustellen; dazu gehören ordnungsgemäße Gerichtsverfahren und die damit zusammenhängenden grundlegenden Verfahrensgarantien, die zugunsten jener, deren Rechenschaftspflicht in den Zuständigkeitsbereich der ORKB fällt, begründet wurden.

Die Rolle der Strafverfolgung bezieht sich auf Ermittlungstätigkeiten oder Ersuchen der PPO sowie auf die Verfolgung wegen individueller Haftungen im Zuständigkeitsbereich der ORKB.

In den meisten Fällen ist die Staatsanwaltschaft befugt, Ermittlungen anzustellen und Informationen sowie Unterlagen von Behörden anzufordern. Von den befragten PPOs waren sich 75 % (9 von 12) über ihre Ermittlungsbefugnis im Klaren. 

Einige (3 von 12) berichteten, dass ihre PPOs in ihrem Rechtsrahmen ausschließlich oder in erster Linie die Befugnis innehatten, eine „öffentliche Klage“ (oder „Haftungsklage“) zu erheben. Das bedeutet, dass die jeweiligen ORKB ohne ein Verlangen auf Anschuldigung seitens der jeweiligen PPOs keine Sanktionen verhängen konnten. Von den meisten PPOs sind weitere Umfragedaten zu diesem Thema jedoch noch ausständig.

Trotz der oben festgestellten Konvergenz ist klar, dass sich die Profile der PPOs unterscheiden. Einige scheinen eine stärkere Strafverfolgungsfunktion zu haben, während sich andere eher auf die Rolle der Gesetzeshüterin, die so genannte „Qualitätskontrolle“ der Verfahren und Rechtsprechung von ORKB, konzentrieren.

Aber selbst in Rechtsrahmen, in denen die Staatsanwaltschaft stärker mit ihrer Strafverfolgungsfunktion in Verbindung gebracht wird, ist ihre markante Rolle bei der Vertretung des öffentlichen Interesses an der Haftung der gesetzlich Verantwortlichen auch stark mit der Bestimmung über ordnungsgemäße Gerichtsverfahren verbunden, um die Rollen des Staates als Kläger und Richter zu trennen und so die Unparteilichkeit des Urteils zu gewährleisten. Dieses Ziel entspricht einem weiteren Grundsatz der INTOSAI-P 50 (INTOSAI-P 50, Grundsatz 7, Punkt 4.2).

Die dargelegten Informationen sind vorläufige Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus unserer Umfrage. Wir versuchen nach wie vor, noch mehr PPOs zu erreichen und die bereits erhobenen Daten zu präzisieren. Alle interessierten PPOs sollten daher nicht zögern, uns direkt zu kontaktieren, um weitere Informationen zu erhalten und sich einzubringen. Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass diese Informationen geteilt werden sollten, da sie neu sowie relevant sind und dazu beitragen können, dass sich PPOs in das Vorhaben einbringen.

Der Bericht der Umfrage kann über diesen Link auf Englisch abgerufen werden. Die Umfrage unter den Staatsanwälten unterstreicht die zentrale Rolle der Staatsanwälte in diesem Rahmen und hebt ihre Aufgabe hervor, das öffentliche Interesse und die ordnungsgemäße Anwendung des Rechts zu schützen.(3)

Die Autoren (von links nach rechts): Cristina Machado (brasilianische Generalstaatsanwältin); Louis Gautier (französischer Generalstaatsanwalt), Rodrigo Medeiros de Lima (Mitglied der brasilianischen PPO (Staatsanwalt)), Adeline Baldacchino (Mitglied der französischen PPO (Staatsanwalt)). Quelle: Cour des Comptes, Tribunal de Contas

Im Einklang mit den allgemeinen Zielen, die anlässlich des Treffens der Staatsanwaltschaften im Jahr 2022 in Rio de Janeiro festgelegt wurden und die darauf abzielten, die Rolle und die Bedeutung der Staatsanwaltschaften sichtbarer zu machen, haben wir einige kurze, aber bezeichnende Zitate von Generalstaatsanwältinnen und -anwälten zusammengetragen, um diesem Artikel verschiedene Perspektiven zu verleihen:

Brasilianische Generalstaatsanwältin Frau Cristina Machado

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„Die Staatsanwaltschaft beim Bundesrechnungshof ist eine seit über hundert Jahren bestehende Institution mit Verfassungsstatus in Brasilien. Ihr Mandat, die Verteidigung der Rechtsordnung zu fördern, wird durch die Befugnis erfüllt, Rechtsgutachten zu allen Angelegenheiten zu erstellen, die der Rechtsprechung des Rechnungshofs unterliegen, und sich vor ihm für einschlägige Maßnahmen im öffentlichen Interesse einzusetzen. 

Dies ermöglicht uns, in verschiedene Verfahren und zu einer breiten Palette an Themen einzuschreiten, insbesondere in Bezug auf zugrundeliegende Rechtsfragen.Als Generalstaatsanwältin zögere ich nicht, zu sagen, dass wir seitens des prüfenden Organs des Gerichtshofs großen Respekt und Achtung für unsere Arbeit sowie unsere Eingriffe in Verfahren genießen.“

Französischer Generalstaatsanwalt Herr Louis Gautier

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„Die Staatsanwaltschaft beim Rechnungshof hat sowohl eine umfassende Verwaltungsfunktion im Hinblick auf die Qualitätskontrolle sämtlicher Tätigkeiten des Rechnungshofs, einschließlich seines Programms, als auch eine juristische Funktion, gemäß der er das Monopol für öffentliche Klagen vor dem Rechnungshof hält.

Durch eine kürzlich durchgeführte Gesetzesreform wurde die Sanktionierungskompetenz innerhalb unseres finanziellen Haftungssystems für Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors verändert und gestärkt.

Dank der engen Zusammenarbeit mit anderen Justiz- und unabhängigen Verwaltungsbehörden, die an der Ermittlung möglichen Fehlverhaltens, das zu finanziellen Verlusten führt, beteiligt sind, bildet die PPO das Herzstück des Ökosystems der finanziellen Integrität des öffentlichen Sektors.“

Algerischer Generalzensor Herr Omar Debbakh

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„Generalzensor ist ein Richteramt am algerischen Rechnungshof. Die Amtsträgerin bzw. der Amtsträger ist für die Überwachung der Anwendung von Gesetzen und Vorschriften innerhalb der Institution verantwortlich. Der Generalzensor fungiert innerhalb des Rechnungshofs als Staatsanwalt und wird derzeit von sechs weiteren Zensoren unterstützt (…). 

(…) Zu den Aufgaben des Generalzensors gehören die Überwachung der Erstellung der Rechnungsabschlüsse, die Sicherstellung der rechtzeitigen Vorlage der Rechnungsabschlüsse und die Verhängung von Geldbußen im Falle von Verzögerung, Verweigerung oder Behinderung. Der Generalzensor verlangt ebenfalls einen Tatsachenbericht seitens der Leitung und die Verhängung von Geldbußen bei Beeinträchtigung der Aufgaben der öffentlichen Rechnungsführerinnen und -führer. Er verlangt auch die Durchführung von Gerichtsverfahren in Haushalts- und Finanzdisziplinarangelegenheiten (…).

Darüber hinaus nimmt der Generalzensor an den Sitzungen der gerichtsförmigen Prüfung des Rechnungshofs teil oder lässt sich dort vertreten, legt seine schriftlichen Schlussfolgerungen vor und gibt gegebenenfalls mündliche Bemerkungen ab.

Der Generalzensor überwacht auch die Durchsetzung der Urteile des Rechnungshofs und stellt sicher, dass seinen Verfügungen Folge geleistet wird; er verfolgt die Vollstreckung der Urteile des Rechnungshofs und stellt die Umsetzung der verfügten Maßnahmen sicher.

Schließlich ist der Generalzensor für die Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen dem Rechnungshof und den Gerichten sowie die Überwachung der Ergebnisse sämtlicher Fälle, an denen sie beteiligt sind, zuständig.“

Generalstaatsanwalt des marokkanischen Königs Herr Brahim Benbeh

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„Die Generalstaatsanwaltschaft ist das vom Gesetzgeber mit der Verteidigung der gesellschaftlichen Interessen beauftragte Organ, wenn der Gesellschaft ein bestimmter Schaden zugefügt wird. Sie sorgt für die Anwendung sowie die Verteidigung des Rechts und unterstützt Richterinnen und Richter bei der Erfüllung ihres Auftrags, der aus der korrekten Anwendung und Auslegung des Rechts besteht.

(…)

Die Generalstaatsanwaltschaft zeichnet sich bei der Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse durch ihre Unabhängigkeit vom Präsidium der ORKB ab.

Die Generalstaatsanwaltschaft übt ihre Rechtsprechungsbefugnisse in folgenden Bereichen aus: Prüfung und Beurteilung der Rechnungsabschlüsse, Haushalts- und Finanzdisziplin, Entscheidung über Berufungen gegen die Rechtsprechung und Urteile der ORKB auf nationaler und regionaler Ebene, Weiterleitung von Tätigkeiten, die eine De-facto-Verwaltung darstellen können, an die ORKB.“

Fußnoten
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