An das Unmögliche glauben – die Rolle der internationalen Zusammenarbeit.

von Herrn Janar Holm, Leiter der ORKB Estland, Vorsitzender der EUROSAI-Arbeitsgruppe zu IT

Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt hat sich unbemerkt in unsere Alltagsaufgaben und -interaktionen eingeschlichen und dabei unsere Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und unseren Lebensstil grundlegend verändert. Es wurde behauptet, dass der technologische Fortschritt noch nie so schnell war, es ist jedoch treffender zu sagen, dass der technologische Fortschritt nie wieder so langsam sein wird, wie er heute ist.

Digitale Innovationen versprechen enorme Vorteile, sind allerdings auch mit komplexen Herausforderungen verbunden: neue Spaltungen im Hinblick auf den Zugang zu und die Kontrolle über Daten, Informationsmanipulation, Cybergefahren, Ungleichbehandlung aufgrund der „digitalen Kluft“ etc.

Dieser Fortschritt hat auch der öffentlichen Verwaltung völlig neue Horizonte eröffnet und dabei neue Chancen, aber auch neue Risiken geschaffen. Ein intelligenter und systematisch gesteuerter digitaler Wandel im öffentlichen Sektor kann zu einem besser funktionierenden und effizienteren Staat führen – mit aktiverer Bürgerbeteiligung, besserer politischer Entscheidungsfindung, einer offeneren Regierung, besserem administrativen Kompetenzausbau, besseren öffentlichen Leistungen und nicht zuletzt dem verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Mitteln. Während viele Veränderungen sichtbar und positiv sind, sind andere problematisch, und die mit diesen Problemen einhergehenden Risiken müssen bewältigt werden. Dabei können aus unerwarteten Richtungen Bedrohungen auftauchen, die der modernen Technologie bisher unbekannt waren.

All diese Veränderungen sind für Oberste Rechnungskontrollbehörden sowohl auf operativer als auch auf strategischer Ebene von Bedeutung. Es gibt kaum ein einziges Prüfthema, das nicht de facto oder potenziell eine Verbindung zu diesen Entwicklungen hat. In Estland werden immer mehr Prozesse automatisiert. Staatlich bereitgestellte Beratungsleistungen werden unter bestimmten Umständen an Roboter mit Sprachausgabe übergeben, Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln werden anhand von Satellitenbilderkennung getroffen etc.

Dies übt ebenfalls Einfluss auf die Prüfungsmethoden aus. Rascher wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt hat Oberste Rechnungskontrollbehörden in eine neue Situation – in fremdes Territorium – gebracht. Wie Lewis Carroll es einst ausdrückte: Es erfordert Aufwand und Übung, um an etwas zu glauben, das bisher für unmöglich gehalten wurde.

Da Stakeholder aus verschiedensten Bereichen versuchen, neue technologische Wege zu beschreiten, benötigen Oberste Rechnungskontrollbehörden mehr Ressourcen und Kompetenzen, um sich an die Situation anzupassen. Auch im Bereich der Kontrolle wird Innovation benötigt, damit Kontrollbehörden bei der Mittelverwendung und den potenziellen Gefahren durch künstliche Intelligenz (KI), Cloud Computing, Blockchain-Technologie etc. auf dem neuesten Stand bleiben. All diese Entwicklungen sollten von Obersten Rechnungskontrollbehörden im Auge behalten werden, jedoch übersteigt deren Tempo das Reaktionsvermögen der meisten Behörden. Die Aufgabe mag unmöglich erscheinen.

Internationale Zusammenarbeit ist dazu da, neue Perspektiven zu eröffnen – über das Geprüfte hinauszublicken und unter Fachleuten Ansichten darüber auszutauschen, wie mit diesen Entwicklungen umzugehen ist – zusammen mit ihren Mitgliedern, NGOs, staatlichen Stellen und der Wissenschaft.

Weil wir praktischen Wert in der institutionellen Zusammenarbeit sehen, insbesondere in Anbetracht des technologischen Durcheinanders, das wir alle momentan erleben.

Herrn Janar Holm

Die EUROSAI-Arbeitsgruppe zu IT, die aus 43 Obersten Rechnungskontrollbehörden besteht, strebt danach, ein „Forschungszentrum“ zu sein. Konkret haben wir in der EUROSAI-Arbeitsgruppe zu IT versucht, das Blickfeld mit unseren virtuellen und hybriden interaktiven Seminaren (zu Themen wie Datenaustausch, KI-Einsatz im Prüfwesen, elektronische Identität etc.), die der gesamten INTOSAI-Gemeinschaft offenstehen, zu erweitern. Diese umfassen nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern auch Expertinnen- und Expertenmeinungen sowie Podiumsdiskussionen, die technologische, rechtliche und gesellschaftliche Perspektiven aufzeigen. Wir laden unsere Mitglieder sowie Partnerinnen und Partner dazu ein, nicht nur ihre Prüfungserkenntnisse, sondern auch ihre Sicht auf die zukünftige Prüfung neuer Entwicklungen zu präsentieren. Es ist zwar unsere Aufgabe, den geprüften Stellen eindeutige Prüfungserkenntnisse und Empfehlungen, die auf stichhaltigen Nachweisen sowie Normen beruhen, vorzulegen, dennoch sollten wir offener dafür sein, in unserer eigenen Gemeinschaft Innovationen zu Prüfungsmethoden zu erkunden. Daher streben wir danach, unseren Kolleginnen und Kollegen Zusammenhänge zu vermitteln, die sie in ihren jeweiligen kulturellen, rechtlichen und technologischen Ökosystemen anwenden können. Technologie und ihre Weiterentwicklung unterwerfen sich weder Staats- noch Regionalgrenzen. Das gilt auch für die diesbezügliche Zusammenarbeit zwischen Obersten Rechnungskontrollbehörden: Ein gutes Beispiel ist unsere Partnerschaft mit der ARABOSAI-Region, die sich im Rahmen unseres letzten virtuellen Seminars im Frühling der Auslotung des Potenzials elektronischer Identität sowie deren Einsatz widmete.

Rechnungskontrollbehörden verzichten oft darauf, Technologien zu prüfen, mit denen sie nicht vertraut sind, sowie auf den Einsatz technologischer Hilfsmittel und Methoden bei Prüfungen, da sie nicht genügend qualifiziertes Personal haben. Angesichts der graduellen Veränderung aller öffentlichen Bereiche durch Technologie wird deutlich, dass Oberste Rechnungskontrollbehörden in allen Feldern aufgeschlossene und experimentierfreudige Prüferinnen und Prüfer, die ebenfalls zumindest mit den Grundkonzepten der IT-Prüfung vertraut sind, benötigen. Die Schulung des bestehenden und wertvollen ORKB-Personals mit eingeschränktem Wissen über IT-Prüfungen wurde deshalb als strategisches Ziel der EUROSAI-Arbeitsgruppe zu IT auserkoren. Dazu wurde das umfassende Schulungsprogramm „Einführung in die IT-Prüfung“ in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und der ORKB Deutschland (Bundesrechnungshof) ins Leben gerufen. Ungefähr 2.000 Menschen auf der ganzen Welt sind auf der dazugehörigen Plattform (training.eurosai-it.org) registriert und die Teilnehmeranzahl wird weiter steigen. Denn Oberste Rechnungskontrollbehörden werden den praktischen Mehrwert dieses Programms für das Wissensportfolio der Prüferinnen und Prüfer erkennen. Letztes Jahr haben wir gesehen, wie interaktive Kurse den Weg für das Verständnis komplexer Theorie geebnet haben. Daher sind wir auf der Suche nach Wegen, wie wir dasselbe Muster – in Zusammenarbeit mit innovativen ORKB und der Wissenschaft – für den Ausbau der IT-Anwendungskompetenzen von Prüferinnen und Prüfern anwenden können.

Ich wurde gefragt, warum die ORKB Estland – eine der kleinsten Rechnungskontrollbehörden – so viel Mühe und Ressourcen in die Führung der EUROSAI-Arbeitsgruppe zu IT investiert hat. Die Antwort ist einfach: Weil wir praktischen Wert in der institutionellen Zusammenarbeit sehen, insbesondere in Anbetracht des technologischen Durcheinanders, das wir alle momentan erleben. Es scheint unmöglich, das sich ständig verschiebende Ziel des technologischen Fortschritts zu erreichen. An etwas zu glauben, das man bisher für unmöglich gehalten hat, ist jedoch der Schlüssel zu Prüfungsinnovation und unserer Weiterentwicklung als wertvolle Mitgestalterinnen unserer jeweiligen Gesellschaften.

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