Das Potenzial der staatlichen Finanzkontrolle freisetzen

Quelle: International Budget Partnership

Autorin: Claire Schouten, International Budget Partnership

Einleitung

Kein Land kann seine Entwicklungsziele erreichen, ohne öffentliche Gelder effizient und wirksam einzusetzen. Staatliche Prüferinnen und Prüfer, angeführt von den nationalen Obersten Rechnungskontrollbehörden (ORKB), spielen eine entscheidende Rolle für die Überwachung dieses Mitteleinsatzes. ORKB sind die obersten Regulierungsbehörden für die staatlichen Finanzen eines Landes und sind – oft verfassungsmäßig – beauftragt, zu überprüfen, ob Regierungen öffentliche Gelder ordnungsgemäß handhaben. ORKB führen Prüfungen der Rechnungsführung durch, bei denen die Rechtmäßigkeit von Finanztransaktionen untersucht wird, und Wirtschaftlichkeitsprüfungen, um zu beurteilen, ob öffentliche Mittel effizient und wirksam eingesetzt wurden. Die von ORKB veröffentlichten Prüfberichte enthalten Empfehlungen für die Verbesserung der Haushaltsführung.

Leider reagieren viele Regierungen nicht positiv auf Prüfungserkenntnisse. Sie ignorieren oft wichtige Empfehlungen. Wenn es gelingt, mehr Regierungen zu überzeugen und ihnen Anreize zu bieten, diese Erkenntnisse umzusetzen, könnten die Prüfsysteme gestärkt und die Wirksamkeit sowie Effizienz nationaler Haushaltssysteme gesteigert werden.

Die International Budget Partnership (IBP) und unsere Partnerorganisationen in verschiedensten Ländern kooperierten mit ORKB, um Kontrollprüfungen zu analysieren, die Kommunikation der Prüfungsempfehlungen zu verbessern sowie die Einbindung wichtiger Kontrollakteurinnen und -akteure innerhalb sowie außerhalb der Regierung zu stärken und so die Umsetzung der Prüfungsempfehlungen zu fördern. 

Wichtige Elemente sind das Eintreten für die zeitgerechte Veröffentlichung von Prüfungen und eine größere Transparenz bei den Abhilfemaßnahmen, die von den Regierungen als Reaktion auf negative Prüfungserkenntnisse ergriffen werden. In der neuesten Open Budget Survey (dt. etwa „offene Haushaltsumfrage“) sehen wir einen gewissen Fortschritt bei der zeitgerechten Veröffentlichung von Prüfberichten: 81 von 125 beurteilten Ländern (68 %) veröffentlichten zeitgerecht. 
Eine hohe Qualität der Prüfberichte ist ebenfalls unerlässlich, um die konkreten Reformen zu bestimmen, die für die Stärkung der öffentlichen Haushaltssysteme benötigt werden. Wie in einem von ORKB, der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen und der IBP erarbeiteten Handbuch hervorgehoben wird, sollten Prüfberichte erläutern, warum (Ursachen) und wie (Auswirkungen) die ermittelten Probleme (Erkenntnisse) die Leistung der geprüften Stelle beeinträchtigen und wie diese Ursachen durch konkrete Korrekturmaßnahmen (Empfehlungen) beseitigt werden können. Dies erfordert nicht nur einen Fokus auf die Prüfungserkenntnisse, sondern gegebenenfalls auch auf die für die Korrektur der problematischen Situationen ausgesprochenen Empfehlungen. Die genaue Bestimmung der Ursachen und Auswirkungen einer Prüfungserkenntnis ist wesentlich, damit eine Prüfung letzten Endes Wirkung erzielen kann.

Quelle: International Budget Partnership

Während ORKB in das Ökosystem der Rechenschaftspflicht eingebunden sein müssen, müssen sie unabhängig von der Exekutive bleiben. Seit der letzten Open Budget Survey sehen wir in den 120 beurteilten Ländern in beiden Runden einen besorgniserregenden Rückgang hinsichtlich der Unabhängigkeit bei der Ernennung der ORKB-Leitung: Der Durchschnittswert sank von 69 auf 63. Ein ähnlicher Rückgang ist auch bei der Amtsenthebung der ORKB-Leitung zu verzeichnen, und zwar von 78 auf 76. 

Rechenschaftspflicht durch Prüfungen

Die fehlende Kontrolle von Prüfungsempfehlungen ist ein weithin anerkanntes Problem. Es ist jedoch schwierig, sein Ausmaß zu quantifizieren, da die meisten Länder keine Aufzeichnungen über die staatlichen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Empfehlungen führen. Wie aus der unten stehenden Abbildung hervorgeht, veröffentlichen Legislativen oder ORKB eher Kontrollberichte zu Prüfungsempfehlungen als Exekutiven.

Prozentualer Anteil der Länder nach Region, in denen die Exekutive bzw. die Legislative oder die ORKB Maßnahmen setzen, um die Prüfungsempfehlungen zu kontrollieren 

Quelle: International Budget Partnership

Hinweis: Prozentualer Anteil der Länder nach Region, die öffentlich zugängliche Prüfberichte haben und Maßnahmen setzen, um Prüfungsempfehlungen zu kontrollieren. 

Nur wenige globale Studien untersuchen, warum Regierungen Prüfungsempfehlungen nicht nachkontrollieren. Verschiedensten Expertinnen und Experten zufolge werden Regierungen normalerweise intern von Legislativen oder extern von der Öffentlichkeit nicht genügend unter Druck gesetzt, die Prüfungsempfehlungen umzusetzen. Sie sind sich ebenfalls einig, dass eine verbesserte Rechenschaftspflicht stärkere Akteurinnen und Akteure im Bereich der Aufsicht sowie Systeme, die das Zusammenwirken zwischen ihnen fördert, benötigt. Demgegenüber sehen Amtsträgerinnen und -träger Prüfungen unter Umständen als Bedrohung für ihre Macht, anstatt als Hilfsmittel, welche die Wirksamkeit ihrer Tätigkeiten erhöhen können. Defensive Reaktionen von Staatsbeamtinnen und -beamten auf Prüfungserkenntnisse sind oft ein Anzeichen dafür, dass die Empfehlungen ignoriert werden.

Alle Mann an Bord!

Wirksame Prüfungs- und Aufsichtssysteme erfordern Reformen seitens aller Akteurinnen und Akteure im System. Einige Reformen müssen die Ressourceneinschränkungen von ORKB betreffen. Allerdings können ORKB, Legislativen, die Zivilgesellschaft sowie Partnerorganisationen im Entwicklungsbereich auch andere Maßnahmen ergreifen, um Schwachstellen in Prüf- und Aufsichtssystemen zu verringern.

Die Erarbeitung und Umsetzung von Kommunikationsstrategien zu den Haupterkenntnissen und Abhilfemaßnahmen stellt eine Taktik dar, die ORKB verwenden können, um staatliche Maßnahmen zu begünstigen. Unsere Erfahrung im Bereich der Förderung der Zusammenarbeit zwischen ORKB und der Zivilgesellschaft zum Thema Kontrollprüfungen sowie unsere Fallstudien zu erfolgreichen Prüfungen aus Argentinien, Indien und den Philippinen zeigen, wie wirksame Kommunikationsstrategien dazu beitrugen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Regierungen die Prüfungserkenntnisse nicht ignorieren konnten.

ORKB können auch zum Ausgleich einiger Schwächen im Zusammenhang mit der legislativen Kontrolle von Prüfungen beitragen. So kann die ORKB-Führung Schritte setzen, um die Politisierung von Prüfungen zu begrenzen, indem sie sicherstellt, dass Prüfungserkenntnisse relevant für Entscheidungsträgerinnen und -träger sind, unparteilich präsentiert werden sowie offenkundig auf belegten Tatsachen beruhen. Darüber hinaus können ORKB der Legislative dabei helfen, fachliche Prüfberichte zu verstehen, Fragen zu Empfehlungen anregen, die in legislativen Anhörungen für die Befragung von Exekutivbeamtinnen und -beamten herangezogen werden können, und Schreiben aufsetzen, welche die Legislative verwenden kann, um den Status von Empfehlungen zu prüfen. In der Legislative kann die Führungsebene Diskussionen zu Prüfungen priorisieren und Orientierung zur Nachkontrolle von Prüfungen bieten. Prüfungen können auch mit der Haushaltskontrolle verknüpft werden, indem Prüfungsergebnisse als Grundlage für die anschließende Mittelzuweisung herangezogen werden. In den Niederlanden präsentiert die ORKB-Leitung der nationalen Legislative am „Tag der Rechenschaftspflicht“, der im Mai stattfindet, beispielsweise einen Bericht, der die Leistung jedes einzelnen Ministeriums bewertet. Diese Überlegungen werden im September für die Diskussionen rund um die Mittelzuweisung herangezogen.

ORKB können ebenfalls mit der Zivilgesellschaft oder anderen Stakeholdern zusammenarbeiten, um die Medien auf die Untätigkeit der Regierung oder der Legislative in Bezug auf bestimmte Prüfungserkenntnisse aufmerksam zu machen. ORKB sowie andere Akteurinnen und Akteure können Datenbanken erstellen, um Prüfungserkenntnisse und Abhilfemaßnahmen zu katalogisieren. So hat die ORKB des Vereinigten Königreichs beispielsweise einen Empfehlungstracker, um die Reaktionen der Regierung auf ihre Prüfungen nachzuverfolgen. In Malaysia zeigt das Dashboard der ORKB für jedes Ministerium eine einfache Übersichtstabelle, welche die Anzahl der durchgeführten Prüfungen zeigt und deren Status farblich kennzeichnet. Die Öffentlichkeit kann die Datenbank verwenden und nicht nur die Kommentare des Ministeriums einsehen, sondern auch direkte Rückmeldungen geben. Die ORKB von Georgien, Indonesien und den Vereinigten Staaten von Amerika setzen elektronische Überwachungsinstrumente ebenfalls erfolgreich ein, um die im Anschluss an Prüfungen ergriffenen Maßnahmen zu verbessern. Derartige Instrumente können dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf derzeit ignorierte Prüfungserkenntnisse zu lenken. 

Außerdem können ORKB den Leiterinnen und Leitern der Behörden regelmäßig Briefe übermitteln, um sie über die noch offenen prioritären Empfehlungen für ihre Behörde zu unterrichten und ihre persönliche Aufmerksamkeit einzufordern. ORKB können die Umsetzungsraten der Prüfungsempfehlungen als Leistungskennziffer verwenden und über die Wirkung von umgesetzten Empfehlungen berichten. Das kann aufzeigen, wie Maßnahmen zu positiven Ergebnissen führen. ORKB und andere Stakeholder können sich für die Verabschiedung von Gesetzen, welche die Berichterstattung über von der Regierung als Reaktion auf Prüfungen ergriffene Korrekturmaßnahmen vorschreiben, einsetzen.

Die Einbindung der Öffentlichkeit, insbesondere von marginalisierten Gruppen, in den gesamten Prüfungsablauf kann dabei helfen, wichtige Prüfungsthemen zu ermitteln, Nachweise für Prüfungen zu erheben, aussagekräftige Empfehlungen zu erstellen, Prüfungserkenntnisse zu vereinfachen und Handlungsdruck aufzubauen. In Argentinien, Kolumbien, Frankreich, Gambia, Ghana, Nepal, Peru, auf den Philippinen, in Sierra Leone, Südafrika, Sri Lanka, Tansania und anderen Ländern haben wir starke Resultate gesehen, wenn sich ORKB mit der Zivilgesellschaft zusammengetan haben, um die Rechenschaftspflicht sowie die Wirksamkeit von Prüfung zu stärken. 

Empfehlungen

In den kommenden Jahren werden Länder mit zahlreichen Forderungen an die öffentlichen Mittel konfrontiert werden – dem Umgang mit höheren Zinsraten, geopolitischen Risiken und zunehmenden klimabedingten Vulnerabilitäten. Investitionen in die Stärkung von Aufsichtsbehörden sind unumgänglich, um sicherzustellen, dass Regierungen das Beste aus ihren Mitteln machen. Unmittelbare Schritte sind erforderlich, um die Unabhängigkeit von ORKB zu wahren, die Beteiligung der Öffentlichkeit an den Prüfungs- sowie Aufsichtsprozessen zu stärken und die Überprüfung sowie Nachkontrolle von Prüfberichten zu verbessern.

Wir fordern ORKB dazu auf, sich nach Kräften darum zu bemühen, ihre Prüfungserkenntnisse zu veröffentlichen und konstruktive sowie inklusive Mechanismen für die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern zu erarbeiten. Dies könnte durch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen bewirkt werden, um Prüfungszielsetzungen zu verbessern, den Anwendungsbereich auszuweiten und Sachkompetenzen auszubauen.

Legislativen sollten Prüfberichte besprechen und nachkontrollieren sowie öffentliche Anhörungen mit ORKB und der Öffentlichkeit abhalten. Sie sollten ebenfalls sicherstellen, dass ORKB über die Befugnis, Unabhängigkeit und Mittel verfügen, um relevante und qualitativ hochwertige Prüfungen der Verwendung von Soforthilfemitteln durchführen sowie veröffentlichen zu können.

Die Zivilgesellschaft sollte sich für die Unabhängigkeit von ORKB einsetzen und Regierungen zur Rede stellen, wenn die Unabhängigkeit des Prüfwesens bedroht ist. Außerdem sollte sie in einen Dialog mit ORKB über prioritäre und risikoreiche Prüfungsbereiche treten, die Sichtbarkeit von Prüfungsberichten sowie -empfehlungen fördern und die Exekutive dazu drängen, Maßnahmen als Reaktion auf Prüfungserkenntnisse zu ergreifen.

Partnerorganisationen im Bereich Entwicklung sollten Unterstützungsmöglichkeiten für die Institutionen, die das Prüfungs- und Aufsichtsökosystem ausmachen, erkunden und Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn die ORKB-Unabhängigkeit in ihren Partnerländern bedroht ist.

Schließlich sollten Regierungen geprüfte öffentliche Einrichtungen anweisen, Prüferinnen und Prüfern sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen und angemessene Maßnahmen als Reaktion auf Prüfungserkenntnisse zu ergreifen.

Zusammen können wir unsere Stärken nutzen, um die Kraft der staatlichen Finanzkontrolle und Aufsicht freizusetzen.

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