Herausforderungen für die Rechtsprechungsbefugnis der ORKB Spanien in der modernen Gesellschaft
Autor: Carlos Cubillo, Generalsekretär, Oberste Rechnungskontrollbehörde Spanien
Das wirtschaftliche und soziale Umfeld in Spanien
Die spanische Gesellschaft durchlief in den letzten 20 Jahren große Veränderungen, genauso wie andere Länder in der Europäischen Union. Die Finanzkrise im Jahr 2008 traf die spanischen Bürgerinnen und Bürger schwer und führte zu großen sowie schnellen Veränderungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Natur.
Spanien hatte – wie auch andere Länder der Welt – die Folgen dieser Wirtschafts- und Finanzkrise noch nicht überwunden, als es vom Ausbruch der COVID-19-Pandemie überrascht wurde. Dieses gesundheitliche Notfallszenario stellte die Widerstandsfähigkeit des spanischen Rechts- sowie institutionellen Systems und insbesondere des nationalen Gesundheitssystems auf die Probe.
Die COVID-19-Pandemie löste interessante gesellschaftliche Veränderungen aus: ein größeres Interesse der Bürgerinnen und Bürger für öffentliche Investitionen in Gesundheit und Forschung, ein stärkeres ökologisches Bewusstsein und eine größere Empfänglichkeit für technologische Modernisierung (zum Beispiel Telearbeit) und für den Schutz der Cybersicherheit.
Die beiden erwähnten unglücklichen historischen Ereignisse führten zusammen mit anderen Umständen, die auf nationaler und internationaler Ebene auftraten, dazu, dass die Öffentlichkeit nun höhere Ansprüche an die Tätigkeiten des öffentlichen Sektors stellt, sich stärker in die Gemeinschaft einbringt und der Zukunft, die den nächsten Generationen bevorsteht, einfühlsamer begegnet.
Änderungen der Organisation und Funktionsweise des öffentlichen Sektors in Spanien
Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Entwicklung der öffentlichen Meinung in Spanien zwang öffentliche Behörden, sich an die neuen Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger anzupassen.
Dazu wurden in den letzten Jahren intensive normative Aktivitäten unternommen, die darauf abzielten, die Rechtmäßigkeit, Effizienz, Transparenz, Fairness und ökologische Nachhaltigkeit der Organisation und Funktionsweise staatlicher Einrichtungen zu stärken. Dies sind Aspekte, die bereits in der Verfassung aus dem Jahr 1978 verankert sind, die jedoch, um den Anliegen der modernen Gesellschaft gerecht zu werden, durch die Ausarbeitung neuer oder die Aktualisierung bestehender Normen gestärkt wurden.
Zum einen wurde ein angemessener Rechtsrahmen geschaffen, um die Gesetzeskonformität im gesamten wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeitsfeld des öffentlichen Sektors zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf Verträge, Subventionen, Stadtplanung, Abgabenerträge, Personal- und Repräsentationsaufwendungen. Dadurch werden Korruption und Betrug in der Verwaltung öffentlicher Vermögenswerte eingeschränkt.
Andererseits passen Verwaltungseinrichtungen und andere öffentliche Stellen ihre interne Organisation an, damit sie öffentliche Dienstleistungen effizienter erbringen und öffentliche Maßnahmen effizienter umsetzen können. Wenn die Einrichtungen angemessen organisiert sind, können ihre Arbeitsabläufe sicherer und effizienter gestaltet werden.
Zudem ist in der öffentlichen Verwaltung ein Grundsatz der Transparenz erforderlich, damit Verwaltungsangestellte den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit bieten können, sich über abgeschlossene Verträge, öffentliche Haushalte, Gehälter der öffentlichen Bediensteten, gewährte Subventionen, öffentliche Stellenangebote usw. zu informieren, ohne dabei gegen die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten zu verstoßen.
Der öffentliche Sektor Spaniens musste sich auch weiterentwickeln, um zu verhindern, dass seine Maßnahmen umweltschädlich sind, und um ökologische Entwicklungsprozesse zu fördern.
Schließlich mussten die Maßnahmen des öffentlichen Sektors eine Wendung nehmen, um einer Gesellschaft gerecht zu werden, die sich mit Fairness und Gleichberechtigung befasst, insbesondere mit dem Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung.
All dies ist eingebettet in ein Gerüst der „öffentlichen Ethik“, die sich auf Grundsätze sowie deontologische Werte stützt und den öffentlichen Sektor zu einer Referenz für Ehrlichkeit und Reinheit machen soll.
Der Weiterentwicklungsprozess impliziert auch eine ständige Modernisierung der Technologien und der Cybersicherheit. Diese ständige Aktualisierung, mit dem Thema künstliche Intelligenz im Verborgenen am Horizont, erfordert sehr hohe Investitionen sowie die Aus- und Weiterbildung der Fachleute, die ihre Dienste im öffentlichen Sektor anbieten.
Eine Gesellschaft, die sich wie die spanische in einem ständigen und rasanten Wandel befindet, braucht einen modernen und dynamischen öffentlichen Sektor. Dies erfordert zwangsläufig Bemühungen für die Ausarbeitung neuer Vorschriften, Veränderungen in der Verwaltungskultur, eine stärkere Anbindung an die Gesellschaft und das Erlernen von Steuerungstechniken des internationalen Rechts, die gute Ergebnisse erzielt haben.
Modernisierung der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien
Infolge dieser Veränderungen in der öffentlichen Meinung und im öffentlichen Sektor des Landes mussten auch Institutionen mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben große Modernisierungsbemühungen anstellen, um Bürgerinnen und Bürger zufriedenzustellen.
Die Oberste Rechnungskontrollbehörde Spanien entwickelte verschiedene Vorgehensweisen, um in diesem historisch neuen Stadium qualitativ hochwertige Leistungen anzubieten.
Nachstehend werden einige der verfolgten Hauptziele sowie der erzielte Fortschritt beschrieben:
- Ausweitung des Anwendungsbereichs der Prüfungen. Traditionell war die Oberste Rechnungskontrollbehörde Spanien mit der Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeiten des öffentlichen Sektors betraut, um zu überprüfen, ob dieser die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Wirksamkeit und Effizienz einhält. Seit 2015 ist sie gemäß den neuen Rechtsvorschriften ebenfalls damit betraut, die Auswirkung der Verwaltung öffentlicher Gelder auf die Steigerung der Transparenz, Geschlechtergleichstellung und ökologischen Nachhaltigkeit zu überwachen.
- Stärkere Einbindung der Gesellschaft durch die Einführung von Initiativen, dank derer Bürgerinnen und Bürger erfahren, wie die Oberste Rechnungskontrollbehörde ihres Landes funktioniert und wie die Tätigkeiten dieser Institution ihrer Lebensqualität zugutekommen. In diesem Sinne gibt es Führungen in den Räumlichkeiten der Institution, Informationsverbreitungsmaßnahmen in Schulen, Universitäten, öffentlichen Verkehrsmitteln … die Website wurde modernisiert, die ORKB trat den sozialen Netzwerken bei und pflegt ein größeres Näheverhältnis zu den Medien.
- Intensivere Zusammenarbeit zwischen der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien und den regionalen Rechnungskontrollbehörden.
- Zunehmende Mitwirkung der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien an internationalen Projekten, insbesondere im Rahmen der INTOSAI, EUROSAI und OLACEFS.
- Stärkung der Beziehungen zum Parlament, der Exekutive und der Justiz.
- Einrichtung der notwendigen Mechanismen, um die ihr gesetzlich übertragene Aufgabe zu erfüllen, politische Parteien, deren Finanzierung gegen die Regeln verstößt, zu sanktionieren.
Die Rolle der Rechtsprechungsbefugnis der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien in der modernen Gesellschaft
Der regulatorische Rechtsrahmen für die Rechtsprechungsbefugnis der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien
Das spanische „Tribunal de Cuentas“ hat unter anderem die Aufgabe, die zivilrechtliche Haftung von Managerinnen und Managern öffentlicher Vermögenswerte, die gegen Gesetze verstoßen, gerichtlich zu verfolgen. Gleiches gilt für Empfängerinnen und Empfänger finanzieller Beihilfen, die diese unrechtmäßig erhalten oder keinen Nachweis über deren Verwendung erbringen oder die erhaltenen öffentlichen Gelder illegalen Zwecken zuführen.
Diese rechtsprechende Aufgabe kann folgendermaßen beschrieben werden:
- Der Rechnungshof leitet gerichtliche Schritte zur zivilrechtlichen Haftung und nicht zu straf- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen ein, die auf diejenigen Anwendung finden können, die das öffentliche Vermögen verwalten.
- Die Richterinnen und Richter sowie Kammern, die für diese rechtlichen Aufgaben zuständig sind, gehören zur für Gerichtsverfahren zuständigen Sektion der Obersten Rechnungskontrollbehörde. Gegen die endgültigen Entscheidungen, die in Ausübung dieser Rechtsprechungsbefugnis ergehen, kann beim Obersten Gerichtshof Spaniens Berufung eingelegt werden.
- Die Verfahren, in denen die Rechtsprechungsbefugnis der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien zur Anwendung kommt, sind gesetzlich geregelt und erfüllen die Verfahrensgarantien, die in der spanischen Verfassung sowie in internationalen von Spanien unterschriebenen Übereinkommen verankert sind.
Die Oberste Rechnungskontrollbehörde Spanien ist Mitglied im von der INTOSAI begründeten Forum der Obersten Rechnungskontrollbehörden mit Rechtsprechungsbefugnissen.
Nutzen der Rechtsprechungsbefugnis der Obersten Rechnungskontrollbehörde Spanien für die spanische Gesellschaft von heute
Die Befugnis des spanischen „Tribunal de Cuentas“, über rechtliche Verantwortlichkeiten zu urteilen, kann einem der großen Anliegen der heutigen Gesellschaft Rechnung tragen: der Rückforderung der durch Korruption und Verschwendung verlorenen öffentlichen Gelder.
Da die ORKB zivilrechtliche Verantwortlichkeiten verfolgt, ist sie optimal platziert, um den Wunsch der Gesellschaft nach der Integrität des öffentlichen Vermögens zu erfüllen.
Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass es sich um eine spezialisierte Rechtsprechung handelt, die deshalb dafür geeignet ist, komplexe budget- und handelsrechtliche Angelegenheiten sowie Fragen der staatlichen Finanzkontrolle und der öffentlichen Rechnungslegung professionell und sachkundig auszulegen. Die spezialisierte Arbeit im Rahmen dieser Rechtsprechung kann auch für die Erfüllung der Aufgaben in anderen Zuständigkeitsbereichen nützlich sein, indem sie fachliche Lösungen für die im Rahmen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Richterinnen und Richtern und Gerichten der verschiedenen provinziellen Zuständigkeiten verhandelten Fragen bietet.
Es ist festzuhalten, dass die Verfahren dieses spezialisierten Gerichts durch Beschwerden seitens der Bürgerinnen und Bürger sowie privatwirtschaftlicher Unternehmen eingeleitet werden können – eine logische Rechtsmaßnahme gestützt auf die Tatsache, dass die Rückforderung unrechtmäßig ausgegebener öffentlicher Gelder ein wichtiges bürgerschaftliches Anliegen ist. Deshalb muss die Justizverwaltung näher an die Gesellschaft herangeführt werden.
Um dieser Rolle gerecht zu werden, muss es hinsichtlich der Rechtsprechungsbefugnis zwei Entwicklungen geben:
- Eine Gesetzesreform zur Optimierung und Modernisierung der Verfahren zur Beurteilung der Verantwortlichkeiten.
- Fortschritt im Hinblick auf die technologische Modernisierung, wodurch die Verfahrensabwicklung qualitativ und quantitativ verbessert wird.
Abschließend kann gesagt werden, dass das Modell einer Obersten Rechnungskontrollbehörde mit einer Rechtsprechungsbefugnis in den letzten Jahren in einigen Ländern, darunter in Spanien, infolge der schnellen Veränderungen der Gesellschaft und des ihr dienenden öffentlichen Sektors gestärkt wurde.