Das neue System der finanziellen Haftung der Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors, im Zentrum des Ökosystems der öffentlichen Integrität

Source: Cour des Comptes

von Louis Gautier, Generalstaatsanwalt des französischen Rechnungshofs

Der Autor, Louis Gauthier. Quelle: Cour des comptes

Der Rechnungshof Frankreich und die regionalen sowie territorialen Rechnungskammern wurden mit der Reform der finanziellen Haftungsregelung für Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors mit 1. Januar 2023 umfassend verändert. Bis zu diesem Datum stützten sich die gerichtlichen Aufgaben dieser Finanzgerichtsbarkeiten auf zwei separate Haftungsregelungen: eine konkret auf Rechnungsführerinnen und -führer des öffentlichen Sektors (die für die Handhabung öffentlicher Gelder und die Rechnungsführung zuständig sind) anwendbare und eine allgemein auf anweisungsbefugte Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors (die über Einnahmen und Ausgaben entscheiden) anwendbare.

Gemäß der persönlichen und finanziellen Haftungsregelung waren Rechnungsführerinnen und -führer des öffentlichen Sektors persönlich haftbar für in öffentlichen Kassen festgestellte Mängel und sie konnten „mit dem Defizit belastet“ werden, also dazu verurteilt werden, Fehlbeträge zu erstatten. Im Jahr 1948 wurde dieses System mit einer vom allgemeinen Strafrecht inspirierten Haftungsregelung ergänzt, gemäß der Managerinnen und Managern des öffentlichen Sektors (mit Ausnahme von Ministerinnen und Ministern sowie gewählten Amtsträgerinnen und -trägern mit Führungsaufgaben), die keine Rechnungsführerinnen und -führer sind, Bußgelder verhängt werden, wenn diese rechtliche Bestimmungen zur Handhabung öffentlicher Gelder missachten. Zu diesem Zweck wurde ein Ad-hoc-Gericht, der Gerichtshof für Haushalts- und Finanzdisziplin (vom Französischen kurz CDBF), der zur Hälfte aus Richterinnen und Richter der Finanzgerichtsbarkeit und zur Hälfte aus Mitgliedern des Conseil d‘État (des obersten französischen Verwaltungsgerichts) besteht, eingerichtet. Im Jahr 2023 wurde dieser in den Rechnungshof eingegliedert.

Diese beiden parallelen Systeme genügten nicht länger. Die Rechenschaftspflicht der Rechnungsführerinnen und -führer wurde aufgrund von häufigen Straferlassen unwirksam, während der CDBF, da er mangels Ressourcen und Ambition nur einige Fälle pro Jahr verhandelte, irgendwann den Eindruck einer Sondergerichtsbarkeit erweckte. Die neue finanzielle Haftungsregelung beendete diese Dichotomie und findet auf alle Managerinnen und Manager, ob Rechnungsführerinnen und -führer oder Anweisungsbefugte, für all ihre budgetären und finanziellen Handlungen Anwendung. Im Rechnungshof wurde eine neue Kammer für Streitsachen eingerichtet. Gegen ihre Urteile kann Berufung bei einem Finanzberufungsgericht und dann beim Conseil d‘État eingelegt werden.

Im Zuge der Reform wurden zehn Finanzvergehen, die gemäß der Finanzgerichtsordnung ab 1. Januar 2023 verfolgt werden können, neu festgelegt und in vier Hauptkategorien unterteilt:

  1. Budget- und Rechnungsführungsvergehen – darunter zum Beispiel Ausgaben tätigen, ohne die entsprechende Befugnis zu haben (zum Beispiel keine Freigabe);
  2. Vergehen der Gewährung eines unzulässigen finanziellen Vorteils an sich selbst oder eine andere Person (unmittelbar oder mittelbar);
  3. Verstoß gegen Ertrags-, Aufwands- oder Verwaltungsregeln, der durch einen schweren Verstoß zu einem erheblichen finanziellen Schaden führt;
  4. Nichtdurchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung und Vergehen im Hinblick auf die Durchsetzung von Gerichtsbeschlüssen, wodurch die Sanktionierung der Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors wegen Nichtdurchsetzung der gerichtlichen Entscheidungen, die sie zur Zahlung eines Geldbetrags verurteilen, ermöglicht wird.

Die Bestimmung dieser Vergehen dient der Sanktionierung von Fällen der Misswirtschaft, die der öffentlichen Finanzordnung schaden. Die Verurteilungen sind ausschließlich finanzieller Natur und können bis zu sechs Monatsgehälter des Jahresgehalts ausmachen. Sie können mit einer Veröffentlichung des Urteils im Amtsblatt einhergehen. Die der Gerichtsbarkeit unterworfenen Personen sind Menschen, die in einer öffentlichen oder privaten Struktur, die der Kontrolle durch die Finanzgerichtsbarkeiten unterliegen, arbeiten, unabhängig davon, ob es sich um Rechnungsführerinnen und -führer, Anweisungsbefugte, Vorsitzende von Verwaltungs- oder Aufsichtsräten handelt. Auch Managerinnen und Manager von Organisationen, die öffentliche Fördermittel erhalten oder an die Spendenbereitschaft der Öffentlichkeit appellieren (mit Ausnahme von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern), sind davon betroffen. Regierungsmitglieder sowie gewählte Vertreterinnen und Vertreter können für die meisten Vergehen jedoch nicht gerichtlich verfolgt werden.

Das Verfahren, das den Rahmen für die Anwendung dieser neuen Regelung vorgibt, wurde ebenfalls erneuert: Die Staatsanwaltschaft spielt nunmehr eine zentrale Rolle in allen Stadien des strittigen Verfahrens. Sie prüft die Fälle, die ihr von den Kammern der Finanzgerichtsbarkeiten oder meldungsbefugten Organen (Ministerinnen und Ministern, Staatsanwältinnen und -anwälten, Präfektinnen und Präfekten oder auch von staatlichen Inspektionsdiensten) überantwortet werden, sowie die Meldungen, die ihr direkt von Bürgerinnen und Bürgern über ihre Online-Plattform zugetragen werden. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann über die Einleitung eines Verfahrens und erhebt entweder eine Anklageschrift oder spricht eine Mahnung aus. Diese allerletzte Warnung erweist sich in der Regel als wirksam!

Im Falle einer Anklageschrift wird das Dossier an die Kammer für Streitsachen übermittelt, die dann eine unabhängige Ermittlung durchführt. Danach entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob die Verantwortliche bzw. der Verantwortliche an die Kammer für Streitsachen überwiesen wird oder ob der Fall zu den Akten gelegt wird. Sie fordert während der Anhörung Sanktionen und kann Berufung gegen die Entscheidung der Kammer für Streitsachen einlegen oder in Revision gehen. Dieses Verfahren hebt sich durch sein Grundprinzip ab: Das auf dem Konzept des „Schutzes der öffentlichen Finanzordnung“ beruhende Verfahren ergänzt die verwaltungs- und disziplinarrechtlichen Haftungsregelungen, indem die schwerwiegendsten Fälle gegebenenfalls sanktioniert werden. 

Wenn die überantworteten Fälle einen strafrechtlichen Tatbestand darstellen, zum Beispiel vermeintliche Korruption, Veruntreuung öffentlicher Gelder, rechtswidrige Beteiligungen oder Günstlingswirtschaft, kann die Staatsanwaltschaft den Fall an die Justizgerichtsbarkeit weiterleiten. Auf diese Weise ergänzen sich die Finanz- und die Strafgerichtsbarkeiten, wobei erstere Verstöße in der öffentlichen Verwaltung sanktionieren und zweitere unverzüglich Strafverfolgungen einleiten, wenn derselbe Sachverhalt einen strafrechtlichen Verstoß gegen die Treuepflicht darstellt – die Staatsanwaltschaft spielt nunmehr eine wichtige Rolle für die Koordinierung ihrer jeweiligen Maßnahmen.

Durch ihre Strafverfolgungsmaßnahmen trägt die Staatsanwaltschaft beim Rechnungshof dazu bei, die Glaubwürdigkeit der Finanzgerichtsbarkeiten zu erhöhen, indem sie die Strafverfolgung einleitet, entweder infolge überantworteter Fälle oder auf eigene Initiative. Diese neue Regelung ergänzt das Arsenal an verfügbaren Sanktionen bei strafrechtlicher, Management- und Disziplinarhaftung. In diesem Sinne sorgt sie für den Nutzen der Tätigkeiten der Obersten Rechnungskontrollbehörde, die direkt in die Rechtsprechung einfließen können, und gibt Bürgerinnen und Bürgern somit Sicherheit in Bezug auf das Konzept der Rechenschaftspflicht. Die Finanzgerichtsbarkeiten sind mehr denn je in der Lage, die Sicherung der Vermögens- und Finanzinteressen der Öffentlichkeit zu gewährleisten, ihre Rolle bei der Bekämpfung von Verstößen gegen die Treuepflicht zu erfüllen und zur guten Verwaltung öffentlicher Gelder beizutragen, und zwar im Einklang mit Artikel 15 der Erklärung über die Menschen- und Bürgerrechte aus dem Jahr 1789 („Die Gesellschaft hat das Recht, von jeder Staatsbeamtin bzw. jedem Staatsbeamten Rechenschaft über ihre bzw. seine Amtsführung zu verlangen“), eingraviert in die Frontpartie der Grand’chambre des Rechnungshofs.

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