Berufslaufbahn in der Rechtsprechungsfunktion: eine Fallstudie aus der ORKB Brasilien
Autor: Tânia Lopes Pimenta Chioato, Abteilungsleiterin Externe Kontrolle für die Rechtsprechungsfunktion
Seit 2020 entwickelt die Oberste Rechnungskontrollbehörde Brasilien (vom Portugiesischen kurz „TCU“) eine Strategie für Berufslaufbahnen mit dem Ziel, ihre Prüferinnen und Prüfer stärker zu professionalisieren. Eine Berufslaufbahn ist definiert als die Abfolge von Positionen oder Rollen, die eine Prüferin bzw. ein Prüfer im Laufe ihres bzw. seines Berufslebens innehat. Dazu zählen auch die Qualifikationen, Erfahrungen sowie Kompetenzen, die für die Erfüllung der Aufgaben auf einer bestimmten Karrierestufe benötigt werden.
Die Berufslaufbahnen beim TCU umfassen Bereiche wie Datenanalyse, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Prüfungen der Ordnungs- und Rechtmäßigkeit, Prüfungen der Rechnungsführung, Betrugs- und Korruptionsbekämpfung, Kontrolle der staatlichen Maßnahmen sowie Regulierung und Privatisierung. Je nach Komplexität werden in den Laufbahnen die für die Herausbildung und Weiterentwicklung von Fachleuten notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und entscheidenden Erfahrungen genau dargelegt.
Jede Laufbahn führt zu Kompetenzen und Verhaltensweisen, die jeweils mit Schulungsmaßnahmen zur Unterstützung der Weiterentwicklung der Prüferin bzw. des Prüfers verbunden sind: zum Beispiel Präsenzkurse, Fernunterricht, Texte, Multimedia-Ressourcen und Websites. Fachunterlagen, Handbücher sowie nationale und internationale Normen zu den jeweiligen Themen stehen ebenfalls zur Verfügung. Um die Anwendung der erworbenen Kenntnisse zu erleichtern, gibt es eine Reihe von Prüfungen, die der TCU als Richtwert ansieht.
Neben fachlichen Kompetenzen müssen auch persönliche Kompetenzen, zum Beispiel berufliche Integrität und Ethik unter widrigen Umständen sowie Führungs- und Managementkompetenzen, ausgebildet werden, um die Laufbahn zu absolvieren.
Nach Erarbeitung all dieser Kompetenzen auf dem von der Laufbahn geforderten professionellen Niveau kann den Prüferinnen und Prüfern, die eine bestimmte Berufslaufbahn einschlagen möchten, der Titel Fachkraft oder Expertin bzw. Experte auf dem entsprechenden Gebiet verliehen werden. So wird das professionelle Niveau (Mittelstufe) im Bereich Regulierung und Privatisierung zum Beispiel denjenigen verliehen, die mindestens eine der folgenden Wissensanforderungen erfüllen:
- 100 Ausbildungsstunden im Bereich Regulierung und Privatisierung als Studentin bzw. Student oder Lehrperson in den letzten zehn Jahren. Die Ausbildung sollte einen Schwerpunkt auf zumindest drei der folgenden Themen legen: Regulierungsrecht, Unternehmensfinanzen, Rechnungswesen, Regulierungswirtschaft, Infrastrukturwirtschaft, öffentliche Infrastrukturpolitik, Finanzmathematik, Regulierungsmanagement, Projektmanagement und Bewertung (Vermögenswerte von Unternehmen);
- 30 Ausbildungsstunden im Bereich Regulierung und Privatisierung als Studentin bzw. Student oder Lehrperson in den letzten zehn Jahren. Die Ausbildung muss einen Schwerpunkt auf einen bestimmten Infrastruktursektor legen; oder
- 20 Ausbildungsstunden im Bereich Methoden der Regulierungskontrolle als Studentin bzw. Student oder Lehrperson in den letzten zehn Jahren.
Wie die Liste zeigt, kann die Teilnahme an spezifischen Kursen und Schulungen im Bereich der Laufbahn dazu beitragen, die geforderte Stundenanzahl zu reduzieren. Darüber hinaus werden bei einem in den letzten zehn Jahren erworbenen Abschluss des Postgraduiertenstudiums „Regulatory Control“, das von der TCU-eigenen Bildungseinrichtung, dem Serzedello Correa Institut, angeboten wird, 150 Ausbildungsstunden angerechnet. Sollte der Abschluss dieses Studiums länger als ein Jahrzehnt zurückliegen, können nur 75 Stunden angerechnet werden. Ebenso können bei einem in den letzten zehn Jahren erworbenen Abschluss eines anderen Postgraduiertenstudiums im Bereich Regulierung oder Privatisierung 80 Stunden angerechnet werden, vorausgesetzt, diese werden durch 20 Stunden einschlägige Schulungen zu Methoden der Regulierungskontrolle ergänzt. Liegt der Abschluss eines nichteinschlägigen Postgraduiertenstudiums länger als zehn Jahre zurück, können nur 40 Stunden angerechnet werden.
Die Wissensanforderungen reichen nicht aus, um der Prüferin bzw. dem Prüfer den Expertentitel zu verleihen. Für die Erlangung des professionellen Niveaus (Mittelstufe) in Regulierung und Privatisierung ist auch Berufserfahrung in diesem Bereich erforderlich, die anhand eines der folgenden Kriterien gemessen wird:
- Mitwirkung an drei Tätigkeiten (Prüfung, Berichterstattung oder Arbeitsgruppe), bei denen die Fachkenntnisse der Laufbahn gefragt waren, in den letzten vier Jahren oder
- Abgeschlossene Prüfprojekte im Umfang von 150 Stunden, bei denen die Fachkenntnisse der Laufbahn gefragt waren. Davon müssen mindestens 50 Stunden auf eine Koordinierungsfunktion entfallen.
Die vollständige Liste steht auf dem Laufbahnen-Portal, das nur intern zugänglich ist, zur Verfügung.
Die neueste Berufslaufbahn, die am TCU erarbeitet wird, bezieht sich auf die Rechtsprechungsfunktion. In Anerkennung der Bedeutung, Führungskräfte mit Fähigkeiten, Wissen und Erfahrung in Bezug auf diese Funktion auszustatten, hat die TCU-eigene Bildungseinrichtung die Berufslaufbahn in der Rechtsprechungsfunktion um die grundlegenden Prinzipien, die für höhere Kontrolleinrichtungen mit dieser Art des Tätigkeitsfelds gelten, herum strukturiert.
Es wurden Kompetenzen und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der INTOSAI-P 50, einer internationalen Norm zu den Grundsätzen der Rechtsprechungstätigkeiten von Obersten Rechnungskontrollbehörden (ORKB), vorgeschlagen (siehe unten):
INTOSAI-P 50 | Kompetenzen | Verhaltens-weisen | Beschreibung |
Grundsatz 1: Die Dienstpflichten einer rechenschaftspflichtigen Person und die rechtliche Sanktionierung von Verstößen durch die ORKB sind gesetzlich geregelt. | 1. Verstehen der Rechtsprechungstätigkeit des TCU und der Obersten Rechnungskontrollbehörden, der internationalen und nationalen Normen sowie der Verfahrensabläufe und der Organisationssteuerungssysteme des Rechnungshofs. | Verhalten in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechungstätigkeiten des Rechnungshofs. | Die Prüferin bzw. der Prüfer muss mit den Grundsätzen der rechtsprechenden Tätigkeiten der Rechnungshöfe vertraut und in der Lage sein, diese bei ihrer bzw. seiner Arbeit anzuwenden, in Übereinstimmung mit den Empfehlungen internationaler Normen, wie INTOSAI-P 50 – Grundsätze für die gerichtsförmige Prüfung von ORKB, die der brasilianischen Norm für die staatliche Finanzkontrolle (NBASP)-50 entspricht. Der Prüferin bzw. dem Prüfer sind die Rechtsprechungstätigkeiten anderer Oberster Rechnungskontrollbehörden (ORKB) auf der ganzen Welt bekannt und sie bzw. er erkennt Ähnlichkeiten, Unterschiede, Risiken und Chancen in Bezug auf den Einsatz internationaler Initiativen zur Verbesserung der Rechtsprechungstätigkeiten. |
∙ Legalitätsgrundsatz in Bezug auf gesetzwidriges Verhalten, Sanktionierung und Durchsetzung des Rechts; | |||
∙ Gesetzmäßigkeitsgrundsatz in Bezug auf die Zuständigkeit der ORKB bei der Feststellung und Bestimmung einer Pflichtverletzung sowie der Verurteilung. | |||
Sie bzw. er kennt die Funktionen sowie die internen und externen Akteurinnen und Akteure, die an der Ausübung der Rechtsprechungstätigkeiten beteiligt sind. | Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter kennt und wendet neben grundlegenden Normen wie der Geschäftsordnung und dem Organgesetz des TCU auch spezifische verfahrensbezogene Normen an, darunter Verordnungen, Resolutionen, normative Anweisungen und interne Richtlinien, die sich auf den Umgang mit Stellungnahmen, Beschwerden, Sonderabschlüssen, Berufungen, Mitteilungen, Archivierung, Vollmachtübertragung, Informationssicherheit usw. beziehen und für die ordnungsgemäße Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit wesentlich sind. | ||
Sie bzw. er wendet die Vorschriften, welche die Verfahrensangelegenheiten im TCU regeln, angemessen an. | Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter kennt und wendet neben grundlegenden Normen wie der Geschäftsordnung und dem Organgesetz des TCU auch spezifische verfahrensbezogene Normen an, darunter Verordnungen, Resolutionen, normative Anweisungen und interne Richtlinien, die sich auf den Umgang mit Stellungnahmen, Beschwerden, Sonderabschlüssen, Berufungen, Mitteilungen, Archivierung, Vollmachtübertragung, Informationssicherheit usw. beziehen und für die ordnungsgemäße Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit wesentlich sind. | ||
Sie bzw. er ist mit den Organisationssystemen für das Dokumenten- und Prozessmanagement vertraut und verwendet diese ordnungsgemäß. | Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter ist mit den relevanten Organisationssystemen für das ordnungsgemäße Dokumentenmanagement, für externe Kontrollprozesse sowie das Erstellen von Managementinformationen für diese Tätigkeit vertraut, kennt und beherrscht diese. |
Jeder der 12 Grundsätze der Norm regt die Festlegung von Kompetenzen und Verhaltensweisen an, die dann intern ausgearbeitet werden, um eine Kultur der Anerkennung, Wertschätzung und Einhaltung von bewährten Verfahren bei der Ausübung der Rechtsprechungsfunktion aufzubauen. Trotz der Freiwilligkeit, sich an die Berufslaufbahnen zu halten, gibt es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anreize in Bezug auf die Zertifizierung und berufliche Anerkennung. Darüber hinaus wird erwartet, dass Ausbildungsstrategien, zum Beispiel Weiterbildungs- und Postgraduiertenprogramme, welche die TCU-eigene Bildungseinrichtung anbietet, in Einklang mit den genehmigten Berufslaufbahnen gebracht werden, um zu deren Durchsetzung beizutragen.
Die Strategie zu den Berufslaufbahnen zielt darauf ab, eine selbstbewusste Weiterentwicklung zu ermöglichen, die Teambildung zu optimieren, Nachfolgerinnen bzw. Nachfolger für Schlüsselpositionen zu finden, die Anforderungen für den beruflichen Aufstieg abzuklären, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, ihre eigene Berufslaufbahn zu steuern, und Transparenz als Kriterium für den beruflichen Erfolg im TCU zu fördern.
Die Berufslaufbahn in der Rechtsprechungsfunktion trägt zu dieser Strategie bei, stärkt die Institution und wertet diese Besonderheit, die sie mit vielen anderen Obersten Rechnungskontrollbehörden auf der ganzen Welt teilt, auf.