Besonderheiten der Rechtsprechungstätigkeiten des italienischen Rechnungshofs

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Autor: Mauro Orefice, Präsident der Kammer für Wirtschaftlichkeitsprüfungen des Managements der Staatsverwaltung , Leiter des Büros für internationale Angelegenheiten

Hintergrund zu ORKB mit Rechtsprechungsbefugnis

Unter dem Modell der Obersten Rechnungskontrollbehörde (ORKB) mit Rechtsprechungsbefugnis versteht man eine Institution, die alle Prüfungsarten – Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Recht- und Ordnungsmäßigkeitsprüfungen sowie Prüfungen der Rechnungsführung – durchführen kann und darüber hinaus mit der Befugnis ausgestattet ist, formelle Entscheidungen über die Sanktionierung haftbarer Managerinnen und Manager des öffentlichen Sektors zu erlassen, wenn ihre Prüfungserkenntnisse Unregelmäßigkeiten aufzeigen oder wenn solche Unregelmäßigkeiten von einem Dritten an die ORKB herangetragen werden.

Die Bedeutung der Rechtsprechungsbefugnisse führte zur Gründung eines Forums, dessen Vorsitz vom französischen Cour des comptes gemeinsam mit der chilenischen Contraloria General de la Republica geführt wird. 

Am 13. November 2015 verabschiedete das erste internationale Forum der ORKB mit Rechtsprechungsbefugnissen innerhalb der INTOSAI eine feierliche Deklaration, in der ihre Identität definiert sowie die sie charakterisierenden Werte aufgelistet wurden und sie sich zu gemeinsamen Maßnahmen zur Förderung ihres Modells verpflichteten.

Anlässlich des XXIII. INCOSAI verabschiedete die Plenarsitzung des Forums die erste Norm zu Rechtsprechungstätigkeiten: Die INTOSAI-P 50 führt 12 Grundsätze ein, für die der nationale Rechtsrahmen sorgen soll, damit ORKB ihre Rechtsprechungstätigkeiten ausüben können.

Der Autor, Mauro Orefice, Präsident der Kammer für die Leistungsprüfung der Verwaltung der Staatsverwaltungen, Leiter des Büros für internationale Angelegenheiten. Quelle: Corte dei conti, Italien.

Rechtsprechungsbefugnisse des italienischen Rechnungshofs

Die ORKB Italien (Corte dei conti) verfügt über Prüf- sowie Rechtsprechungsbefugnisse und nimmt im italienischen Justizsystem eine Sonderstellung ein. Sie verfügt über ihren eigenen Zuständigkeitsbereich, der funktional von den Verwaltungs- und Zivilgerichten getrennt ist. Die Rechtsprechungsbefugnisse sind eindeutig und stark in der italienischen Verfassung sowie einschlägigen Gesetzen verankert und Unabhängigkeit ist eines ihrer wichtigsten Merkmale.

Gemäß Artikel 103 der italienischen Verfassung ist der italienische Rechnungshof für Fragen der öffentlichen Rechnungslegung und für alle anderen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten zuständig. 

Der Rechnungshof Italien ist für folgende Angelegenheiten zuständig:

  • Haftung im Bereich Verwaltung und Rechnungslegung von Beamtinnen und Beamten, öffentlichen Bediensteten oder privaten Einrichtungen, die öffentliche Mittel (Geld, Güter und Dienstleistungen, Vermögenswerte usw.) im öffentlichen Interesse verwalten, für Schäden, die sie dem Staat und der Europäischen Union oder einer öffentlichen Einrichtung durch Betrug oder grobe Fahrlässigkeit zugefügt haben.
  • Management und Berichte von Rechnungsführerinnen bzw. -führern und anderen öffentlichen Bediensteten, die öffentliche Gelder verwalten und rechenschaftspflichtig sind. (das heißt: veröffentlichte Rechnungsabschlüsse, das Management und Rechnungsführerinnen bzw. -führer in Regierungs- und lokalen Stellen. Der Rechnungshof Italien ist befugt, Personen zu prüfen, die als öffentliche Rechnungsführerinnen und -führer tätig, jedoch nicht als solche zertifiziert sind).
  • Weitere gesetzlich festgelegte Streitsachen in Rechnungsführungsangelegenheiten (Artikel 172 der Verfahrensordnung für die Rechnungsführung).
  • Streitsachen, die sich aus Gesetzen zur Gewährung oder Änderung von Renten ergeben.

In der Verfahrensordnung für die Rechnungsführung (Gesetzesverordnung Nr. 174/2016) ist die Abwicklung der verschiedenen Verfahren vor den Gerichtskammern des italienischen Rechnungshofs ordnungsgemäß und eindeutig definiert, zum Beispiel die Verantwortlichkeiten der vor der ORKB rechenschaftspflichtigen Personen und die anwendbaren Sanktionierungsregelungen, die Einstufung und die Höhe des vermeintlichen Schadens, das Recht der rechenschaftspflichtigen Personen auf Einsicht in die Ermittlungsakte (mit Ausnahme von Geheimnissen oder Verteidigungsstrategien anderer Parteien). 

Wichtigste Grundsätze des Verfahrens

Das Rechnungslegungsverfahren des italienischen Rechnungshofs entspricht den Grundsätzen der Gleichheit der Parteien, der Unparteilichkeit, des kontradiktorischen Verfahrens und des ordnungsgemäßen Verfahrens gemäß Artikel 111, Absatz 1 der italienischen Verfassung.

Unabhängigkeit

Der Rechnungshof Italien ist autonom und unabhängig von allen anderen Gewalten des italienischen Staates (italienische Verfassung, Artikel 100, Absatz 3). Seine Mitglieder sind Richterinnen und Richter, die ihre Aufgaben im öffentlichen Interesse unabhängig, ehrlich und ohne unzulässige Einflussnahme ausüben. Sie schützen Informationen sowie Vertraulichkeit und berücksichtigen gleichzeitig den Bedarf an Transparenz und Rechenschaftspflicht.

Rechtsprechungsbefugnisse

Die wichtigste Rechtsprechungsbefugnis des italienischen Rechnungshofs ist die Beurteilung der Haftungen im Bereich Verwaltung und Rechnungslegung von Beamtinnen und Beamten, öffentlichen Bediensteten oder privaten Einrichtungen, die öffentliche „Mittel“ (Geld, Güter und Dienstleistungen, Vermögenswerte usw.) verwalten, für Schäden, die sie dem Staat bzw. einer öffentlichen Stelle und der Europäischen Union durch Betrug oder grobe Fahrlässigkeit zugefügt haben. Dadurch soll er die Integrität und die effiziente Verwendung öffentlicher Mittel im Interesse öffentlicher Einrichtungen sowie der Bürgerinnen und Bürger sichern. 

Alle durch rechtswidrige Verhaltensweisen oder Unterlassungen verursachten Schäden können geprüft werden (zum Beispiel Korruption, Betrug bei der Verwaltung öffentlicher Gelder – sei es auf europäischer, nationaler, regionaler oder lokaler Ebene –, Verstöße oder rechtswidrige Verhaltensweisen oder Unterlassungen bei der Anleitung bzw. Überwachung öffentlicher Bauvorhaben, Liefer- und Dienstleistungsvereinbarungen, die zu Vertragsverstößen führen, rechtswidrige Zusatzzahlungen, unregelmäßige oder unterlassene Steuerprüfungen oder unterlassene Sanktionierung sowie unterlassene Meldung begangener Delikte gegen Bestechungsmittel, monetärer oder anderer Natur, für Amtsträgerinnen und -träger oder für Dritte usw.).

Eine privilegierte Akteurin: die Generalstaatsanwaltschaft beim Rechnungshof Italien

Nur regionale Staatsanwältinnen bzw. -anwälte des italienischen Rechnungshofs können Amtshaftungsklagen vor den zuständigen Kammern des italienischen Rechnungshofs erheben. Beschwerden bilden die Grundlage ihrer Tätigkeit. Diesbezüglich unterliegen die zuständigen Behörden mehreren spezifischen Verpflichtungen zur Meldung von Verlustfällen öffentlicher Gelder, in die Beamtinnen und Beamte verwickelt sind, an die regionale Staatsanwaltschaft.

Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, der regionalen Staatsanwaltschaft des italienischen Rechnungshofs alle Ermittlungen oder Fälle, die vermeintlich zu einem Verlust öffentlicher Gelder geführt haben, zu melden. Beschwerden können auch aus jeder anderen Quelle stammen: von Politikerinnen und Politikern, Bürgerinnen und Bürgern, anonymen Personen, Hinweisgeberinnen und -gebern (das Gesetz schützt Angestellte, die rechtswidriges Verhalten am Arbeitsplatz melden), Presseartikeln usw. 

Die Staatsanwaltschaft hat uneingeschränkten Zugang zu Dokumenten und Informationen, die sich im Besitz von Verwaltungs- oder Justizbehörden befinden, und kann, wenn dies für die Ermittlungen erforderlich ist, (mittels Verfügungen) Folgendes beantragen: Ausstellung von Dokumenten, Anhörung sachkundiger Personen, Inspektionen und direkte Prüfungen, Beschlagnahme von Dokumenten, fachliche Beratung. Im Rahmen einer Schadenersatzklage, die von einer bzw. einem der Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälte des italienischen Rechnungshofs erhoben wird (eine Anklageschrift als Teil einer Vorladung), kann die beschuldigte Person am Ende eines Ermittlungsverfahrens, an dem auch Polizeibehörden wie die italienische Finanzpolizei (Guardia di Finanza) beteiligt sein können, nur dann haftbar gemacht werden, wenn alle nachstehend genannten Bedingungen hinsichtlich der Gesetzeswidrigkeit/Unrechtmäßigkeit der vermeintlich rechtswidrigen Verhaltensweise oder Unterlassung erfüllt sind: 

  1. Der Schaden für die Haushalte/Ressourcen des Staates oder einer öffentlichen Einrichtung (einschließlich der Mittel der Europäischen Union) muss tatsächlich sowie sicher und darf nicht nur potenziell sein; 
  2. Es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der Handlung und dem vermeintlich erlittenen Schaden nachgewiesen werden; 
  3. Es muss Betrug oder grobe Fahrlässigkeit im Verhalten der beschuldigten Person nachgewiesen werden; 
  4. Zwischen der geschädigten öffentlichen Einrichtung und der Person, die den Schaden vermeintlich verursacht hat, muss eine „qualifizierte Beziehung“ – ein Arbeitsverhältnis, eine Ermächtigung, eine Mitgliedschaft oder eine Ad-hoc-Verbindung – bestehen. Privatpersonen und Unternehmen können beschuldigt werden, wenn sie eine solche „qualifizierte Beziehung“ eingehen, da sie im öffentlichen Interesse tätig sind.

Anklageerhebung und Urteil

Die Anklageschrift ist die abschließende ausführliche Darlegung der Anklage, in welcher der Sachverhalt, die beschuldigten Personen, das Vorliegen der kumulativen Voraussetzungen für die Klageerhebung vor dem Gericht sowie die Einstufung und Höhe des Schadenersatzes im Einzelnen dargelegt werden.

Der italienische Rechnungshof setzt den Termin für die erste Verhandlung fest. Im Anschluss erhält die angeklagte Person und ihre Anwältin bzw. ihr Anwalt eine Kopie der Anklageschrift und eine Ladung zur Verhandlung.​

Die Anwältin bzw. der Anwalt muss die Verteidigung dann innerhalb einer bestimmten Frist ausarbeiten.​

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