Autor: Adnene Maali, ORKB Katar
Rolle von ORKB bei Ex-ante-Prüfungen von öffentlichen Beschaffungsverträgen
Im staatlichen Beschaffungsverfahren sind mehrere Organe daran beteiligt, für Recht- und Ordnungsmäßigkeit sowie Rechenschaftspflicht zu sorgen, bevor Verträge finalisiert werden. Staatliche Aufsichtsorgane für das Beschaffungswesen wie Ministerien, Behörden und andere spezialisierte Stellen sind häufig mit der Ex-ante-Prüfung oder -Genehmigung von öffentlichen Beschaffungsverträgen betraut. Sie stellen sicher, dass die Verträge rechtlichen Vorgaben, finanziellen Schwellenwerten und den Ausschreibungsbedingungen entsprechen, bevor sie unterzeichnet werden. Sie führen oft eine zentralisierte Vertragsdatenbank, in der die Beschaffungsvereinbarungen aller staatlichen Stellen vermerkt sind.
Einige Oberste Rechnungskontrollbehörden (ORKB) haben den Auftrag, Beschaffungsverträge ex ante zu prüfen. Um die Anzahl dieser Verträge bewerkstelligen zu können, wird oftmals mit Stichproben gearbeitet. Verträge, die einer Ex-ante-Prüfung unterzogen werden, können auf der Grundlage finanzieller Schwellenwerte – zum Beispiel Verträge, die einen bestimmten Betrag überschreiten – oder auf der Grundlage ihrer Art, zum Beispiel Verträge für öffentliche Ausschreibungen oder strategische Projekte, ausgewählt werden. Dies ermöglicht ORKB, sich auf Verträge mit hohem Risiko oder hohem Wert zu konzentrieren und zu gewährleisten, dass etwaige Probleme frühzeitig ohne übermäßigen Ressourceneinsatz ermittelt werden.
Dennoch bestehen Herausforderungen. ORKB müssen diese Prüfungen unter Zeitdruck durchführen und die Koordination mit anderen Stellen, die ex-ante prüfen, kann zu widersprüchlichen Urteilen führen. Wenn eine ORKB der vorherigen Genehmigung einer anderen Stelle im Rahmen einer nachgelagerten Prüfung widerspricht, kann dies zu Verzögerungen oder rechtlichen Anfechtungen führen, vor allem wenn bereits beträchtliche Mittel bereitgestellt wurden. Die Ex-ante-Prüfung verbessert zwar die Präventivkontrollen, erfordert jedoch einen strategischen und kooperativen Ansatz, um einen Mittelweg zwischen Gründlichkeit und Effizienz zu finden.
KI als transformatives Instrument für die Ex-ante-Prüfung von Verträgen
Künstliche Intelligenz (KI) hat die Art und Weise, wie juristische Organisationen und vertragsintensive Unternehmen Vereinbarungsprüfungen durchführen, komplett verändert. Anwaltskanzleien verwenden beispielsweise KI-Instrumente wie Kira Systems, um Verträge mit linguistischer Datenverarbeitung zu analysieren und Inkonsistenzen oder Rechtsrisiken aufzuzeigen. Darüber hinaus setzen einige staatliche Stellen KI-Algorithmen ein, wie sie beispielsweise von Palantir Technologies verwendet werden, um historische Beschaffungsdaten nach Betrugsmustern zu durchsuchen, zum Beispiel nach wiederholten Zuschlagserteilungen ohne Ausschreibung. ORKB können diese KI-gestützten Verfahren, die bereits jetzt rechtliche und forensische Prüfungen verändern, anwenden, um die Vertragsprüfung im öffentlichen Beschaffungswesen zu revolutionieren. KI ermöglicht ORKB, enorme Datenmengen schneller und fehlerfreier aufzubereiten als menschliche Prüferinnen und Prüfer, wodurch mehrere zentrale Vorteile erschlossen werden:
- Von Stichproben zu umfassenden Datenprüfungen: In vielen Ländern begrenzen Vorschriften oder Anweisungen ORKB auf die Prüfung von Verträgen, die finanzielle Schwellenwerte überschreiten. Dadurch konzentrieren sich ORKB aufgrund von Zeit- und Ressourcenbeschränkungen auf Verträge mit höherem Wert. Aufgrund des Einsatzes von Stichproben werden Verträge mit niedrigem Wert nicht geprüft. KI überwindet diese Einschränkungen, indem sie die Prüfung aller Verträge, unabhängig von ihrem Wert, ermöglicht und so die vollständige Recht- und Ordnungsmäßigkeit über den gesamten Beschaffungsprozess hinweg gewährleistet.
- Steigerung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit sowie Effizienz: Das Vermögen der KI, Compliance-Risiken automatisch zu erkennen, etwa nicht konforme Klauseln oder fehlende Schlüsselbegriffe, steigert die Gesamteffizienz der Prüfung. Dies verbessert die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten und ermöglicht es Prüferinnen und Prüfern, sich auf risikoreichere Verträge zu konzentrieren, die unter Umständen einer genaueren Prüfung bedürfen. KI-Systeme weisen beispielsweise auf Verträge hin, in denen wichtige Klauseln wie Erfüllungsgarantien oder Haftungsbestimmungen fehlen, was Prüferinnen und Prüfern die Kontrolle der Recht- und Ordnungsmäßigkeit vereinfacht.
- Präventive Betrugsbewertung: KI spielt eine entscheidende Rolle bei der Ermittlung früher Warnsignale, die auf etwaigen Betrug in Beschaffungsverträgen hindeuten könnten. Mithilfe von Maschinenlernalgorithmen kann KI Anomalien erkennen: zum Beispiel ungewöhnliche Zahlungspläne, erhebliche Abweichungen bei der Preisgestaltung oder Unregelmäßigkeiten im Bieterverhalten – Warnsignale, die eine genauere Prüfung rechtfertigen. Anstatt Betrug erst im Nachhinein aufzudecken, konzentriert sich das Ex-ante-Prüfungsverfahren darauf, diese Warnsignale proaktiv zu erkennen, sodass Prüferinnen und Prüfer potenzielle Risiken bewältigen können, bevor sie eskalieren.
- Proaktive Prüfungen in Echtzeit: Einer der revolutionärsten Aspekte der KI ist die Möglichkeit der Echtzeitüberwachung. KI-Instrumente können neu hochgeladene Verträge kontinuierlich durchsuchen und Probleme aufdecken, sobald sie auftreten. Dieser proaktive Ansatz stärkt das Risikomanagement und ermöglicht es Prüferinnen und Prüfern, potenzielle Probleme bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Beschaffungszyklus zu bewältigen, anstatt auf Prüfungen nach Vertragsabschluss zu warten.
- Wertvolle Einblicke für die Prüfungsplanung: KI-gestützte Ex-ante-Prüfungen von Verträgen können ausschlaggebende Einblicke liefern, die ORKB dabei unterstützen, ihre zukünftigen Prüfungen besser zu planen. Durch die Analyse der Vertragsdaten kann das Prüfungspersonal wesentliche Risiken ermitteln, Schwachstellen kontrollieren oder Muster erkennen, die bei der Auswahl von Stellen für die Jahresprüfpläne berücksichtigt werden können. Darüber hinaus können diese Erkenntnisse dem Prüfungspersonal bei der Festlegung der Schwerpunktbereiche für spezifische Prüfungen der Vertragsparteien als Orientierungshilfe dienen und so die Gesamtwirksamkeit des Prüfungsverfahrens erhöhen.
Einführung von KI in das Ex-ante-Prüfungsverfahren von Verträgen
ORKB können bei der Einführung von KI in das Ex-ante-Prüfungsverfahren von Verträgen folgende Schritte in Erwägung ziehen:
- Aufbau einer digitalen Grundlage für KI-Prüfungen: Der erste und wichtigste Schritt hin zum KI-Einsatz bei Prüfungen des staatlichen Beschaffungswesens ist die vollständige Digitalisierung der Verträge. Der Umstieg von Papierverträgen auf digitale Formate ermöglicht einfachere Zugänglichkeit, zentralisierte Datenverwaltung und verstärkte Transparenz. Technologien wie die optische Zeichenerkennung spielen in diesem Zusammenhang eine auschlaggebende Rolle. Durch die Konvertierung von gescannten Papierdokumenten in maschinenlesbare Texte wird gewährleistet, dass sogar nicht digitale Verträge von KI-Systemen analysiert werden können. Der Digitalisierungsprozess sollte idealerweise von Beschaffungsaufsichtsorganen eingeleitet und durchgeführt werden, da die Vertragsdaten des staatlichen Beschaffungswesens gemäß der lokalen Gesetzgebung oft zentral in diesen Organisationen erfasst werden. ORKB können jedoch als Vorreiterinnen bei der Digitalisierung auftreten und diese Stakeholder dazu auffordern, das Verfahren einzuleiten und zu beschleunigen, um umfassende und transparente Prüfungen zu gewährleisten. Gleichzeitig können ORKB ihrem Auftrag entsprechend ihre eigenen digitalen Systeme entwickeln, insbesondere dann, wenn solche zentralisierten Datenbanken nicht vollständig ihren Bedürfnissen entsprechen oder wenn sie für moderne Prüfungen spezielle Funktionen benötigen.
- Verbesserung der digitalen Zusammenarbeit zwischen ORKB und Beschaffungsaufsichtsorganen: Für Oberste Rechnungskontrollbehörden (ORKB) ist eine starke Datenintegration mit Regulierungsbehörden von entscheidender Bedeutung, insbesondere beim Zugriff auf zentral erfasste Beschaffungsdaten. Durch die Einrichtung elektronischer Vernetzungssysteme können sich ORKB direkt mit den Datenbanken der staatlichen Beschaffungsaufsichtsbehörden verbinden. Damit entfällt für ORKB die Notwendigkeit, erhebliche Ressourcen in die Entwicklung eigener Datenbanken zu investieren oder direkt mit überprüften Stellen zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Prüfung kleinerer Aufträge oder Behörden. Eine solche elektronische Integration sorgt dafür, dass ORKB Prüfungen in Echtzeit durchführen, auf die neuesten Vertragsdaten zugreifen und ihre Ressourcen auf Verträge mit höherem Wert oder komplexere Prüfungen konzentrieren können. Dieser gestraffte Ansatz verbessert die Prüfungseffizienz und verringert gleichzeitig den Verwaltungsaufwand, sowohl für Prüferinnen und Prüfer als auch für die überprüften Stellen.
- Automatisierte Datenextraktion: Sobald die Verträge digitalisiert sind und ORKB direkten Zugriff auf sie haben, können KI-Instrumente automatisch wichtige Informationen extrahieren, zum Beispiel Vertragsbedingungen, Geldbeträge und beteiligte Parteien. Dies ermöglicht es dem Prüfungspersonal, potenzielle Risiken schnell zu erkennen und die vom System gekennzeichneten Bereiche zu priorisieren. Durch die Automatisierung der Datenextraktion entfällt die manuelle und zeitaufwändige Überprüfung von Verträgen auf relevante Einzelheiten, sodass sich die Prüferinnen und Prüfer auf risikoreiche Bereiche, die einer gründlicheren Überprüfung bedürfen, konzentrieren können.
- KI-gestützte Datenanalyse: Nach der Extraktion der wichtigsten Daten aus den Beschaffungsverträgen stellt eine umfassende Analyse den nächsten Schritt dar. Die Fähigkeit der KI, detaillierte Statistiken zu generieren, Muster zu erkennen und visuelle Zusammenfassungen zu erstellen, liefert Prüferinnen und Prüfern wertvolle Einblicke. Durch die Untersuchung großer Datensätze entdeckt die KI Trends und versteckte Korrelationen, die zugrundeliegende Risiken oder Ineffizienzen im Beschaffungsprozess aufzeigen können. So kann die KI beispielsweise häufig vorkommende rechtswidrige Klauseln aufspüren, sodass sich die Prüferinnen und Prüfer auf potenzielle systemische Probleme konzentrieren können. Diese gründliche Analyse bietet klare Prüfpfade, wodurch die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten und die Erfassung von Nachweisen für weitere Untersuchungen erleichtert wird.
- KI-gestützte Erkennung von Unregelmäßigkeiten: KI verwendet Maschinenlernalgorithmen, um Unregelmäßigkeiten in Bezug auf Vertragsbedingungen, Preise und Klauseln, die von gewöhnlichen Beschaffungsmustern abweichen, zu ermitteln. Diese Abweichungen weisen womöglich auf Betrug, Missmanagement oder die Nichteinhaltung der Ausschreibungsanforderungen hin. So können ungewöhnliche Preisstrukturen, Vorauszahlungspläne oder das Fehlen von Schadensersatzklauseln automatisch ausgewiesen werden. Durch die gezielte Hervorhebung solcher Unregelmäßigkeiten stellt KI sicher, dass sich die Prüferinnen und Prüfer umgehend mit diesen Problemen befassen können. Dies verbessert Prüfungen von Beschaffungsverträgen im Allgemeinen.
- KI-gestützte Kategorisierung von Unregelmäßigkeiten und Warnungen: Nach der Feststellung von Unregelmäßigkeiten in Verträgen können KI-Systeme diese nach Schweregrad, Art und Ziel kategorisieren. Dank dieser cleveren Kategorisierung kann das System automatisch die entsprechende Stelle verständigen – egal ob die Aufsichtsbehörde, das Prüfteam oder die staatliche Ermittlungsbehörde. Indem Zuständigkeiten nach der Art der Unregelmäßigkeit zugewiesen werden, stellt KI sicher, dass die Ergebnisse effizient sowie von den richtigen Expertinnen und Experten bearbeitet werden. Ein Beispiel: Wenn KI eine geringfügige vertragliche Unstimmigkeit erkennt, ist diese von der betroffenen Stelle zu behandeln, während schwerwiegendere Erkenntnisse wie etwaiger Betrug sofort an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden könnten.
Fazit
Die Einbindung der KI in Prüfungen staatlicher Beschaffungsverträge bietet ORKB eine bahnbrechende Möglichkeit. Durch die Nutzung fortschrittlicher KI-Funktionen können ORKB nicht nur seit langem bestehende Herausforderungen wie begrenzte Ressourcen, Stichprobenprüfungen und verzögerte Risikoerkennung in Angriff nehmen, sondern auch das umfassende Prüfungsverfahren in Echtzeit verbessern. Diese Verschiebung von nachgelagerten Prüfungen hin zu proaktiven und präventiven Strategien fördert die staatliche Rechenschaftspflicht und Transparenz.
Der KI-Einsatz seitens ORKB ist nicht nur eine technische Umstellung, sondern könnte die Prüfungslandschaft völlig neugestalten. Damit KI jedoch ihr volles Potenzial entfalten kann, müssen die bestehenden Aufträge und Gesetze für ORKB weiterentwickelt werden. Diese Rahmen sollten KI-gestützten Verfahren Rechnung tragen und es ORKB ermöglichen, neue bisher nicht realisierbare Prüfungsmöglichkeiten zu nutzen. Auf diese Weise werden ORKB in die Lage versetzt, ihre Rolle als Hüterinnen der Transparenz und des öffentlichen Vertrauens zu stärken. Dies führt zu einer wirksameren Aufsicht über das öffentliche Beschaffungswesen.